ENTERPRISE EARTH

Der fünfte Longplayer des US-Quartetts zwischen Deathcore und Modern-Extrem-Death ist so etwas wie ein zweites Debüt. ENTERPRISE EARTH treten mit neuem Line-up an, wobei insbesondere der neue Frontmann merklich ins Gewicht fällt. „Death: An Anthology“ überzeugt sowohl mit mehr Biss und Fokus als auch breiterer Variabilität und Zugänglichkeit.

Picture Nick Chance

Seit der Veröffentlichung von „The Chosen“ 2021 hat sich bei der Gruppe einiges getan: „Es stimmt, in den letzten Jahren haben wir personell einige Veränderungen durchgemacht“, bestätigt Gitarrist und Produzent Gabe das Offensichtliche. „Das ist zwar hart und nicht leicht gewesen, doch für uns hat sich alles zum Besseren gewendet. Unser alter Sänger konnte nicht mehr auf Tour gehen. Das ist ein Teil der Erklärung. Wir hatten das Glück, dass Travis und Dakota für Gesang beziehungsweise Bass zu uns gestoßen sind und wir die entstandenen Lücken schnell gefüllt haben. Unser aktuelles Team und unsere Kreativität waren noch nie stärker ausgeprägt. Seit beide bei ENTERPRISE EARTH mit dabei sind, haben wir noch einmal einen enormen Schritt nach vorne gemacht. Der Beweis dafür liegt nun als „Death: An Anthology“ vor. Auf unsere weitere gemeinsame Zukunft freue ich mich sehr und auch darauf, ENTERPRISE EARTH zu etwas weiterzuentwickeln, das eine echte künstlerische Repräsentation von uns allen darstellt.“ Die Neuzugänge haben sich direkt in die Entstehung des fünften Albums eingebracht: „Sowohl Travis als auch Dakota sind Gitarristen und Songwriter“, erzählt Gabe. „Jeder von den beiden hat zu den Kompositionen auf „Death: An Anthology“ beigetragen. Im Gegensatz dazu war ich es früher ganz allein, der auf allen vorangegangenen Veröffentlichungen die gesamte Instrumentierung verantwortet hat. Das hat einen frischen Wind und eine neue, kraftvolle Energie in unser Songwriting gebracht. In der Karriere der Band war das erste Mal, dass alle Mitglieder von ENTERPRISE EARTH in einem Raum zusammengekommen sind und gemeinsam ein Album geschrieben haben. Der größte Teil von „Death: An Anthology“ ist innerhalb von nur neun Tagen entstanden. Dadurch haben sich diese Songs zu etwas entwickelt, das größer ist als die Summe seiner Bestandteile. Es gibt keine Möglichkeit, dass diese Songs genauso geworden wären, wenn nur einer von uns sie geschrieben hätte. Es war eine wunderbare, gemeinschaftliche Erfahrung. Schon jetzt freue ich mich darauf, das alles bald wieder zu tun und gemeinsam das nächste Album anzugehen.“

Dass der Gitarrist und Produzent von einem Neuanfang spricht, überrascht angesichts dieser Einlassung nicht: „Für mich ist es so etwas wie eine Art Wiedergeburt, ein Neuaufbau oder wie auch immer man es nennen will“, meint Gabe und begründet seine Sicht sogleich. „Jedes Mal, wenn eine Band einen langjährigen Frontmann verliert oder mehrere Mitglieder wechseln, geht damit eine signifikante Veränderung einher. Allerdings habe ich das bei allen unseren Alben seit „Luciferous“ so empfunden. Wir haben unseren Sound weiterentwickelt, hatten wechselnde Mitglieder und mussten uns wieder neu finden und aufeinander einspielen. Jedes Mal, wenn wir das getan haben, ist es deutlich besser geworden als beim Album davor – zumindest meiner bescheidenen Meinung nach. Deshalb hoffe ich, dass diese Band auch in Zukunft immer den Drang haben wird, zu wachsen und sich zu einer besseren Version ihrer selbst zu entwickeln. Ich würde es allerdings gerne vermeiden, dass wir noch mehr neue Mitglieder aufnehmen müssen.“ Zählt man allein die festen Musiker, haben ENTERPRISE EARTH bereits 14 Personen verschlissen.

Legt man „Death: An Anthology“ zugrunde, haben sich die jüngsten Veränderungen auf den kreativen Bereich tatsächlich stark positiv ausgewirkt: „Ja, wir haben wie immer viel experimentiert“, stimmt der Musiker zu. „Experimentieren macht Spaß und ich finde, dies ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass Künstler ihre wahre Identität auf ihrer kreativen Reise finden. ,Blood And Teeth‘ und ,Casket Of Rust‘ sind mit Sicherheit die abwechslungsreichsten und kühnsten Stücke auf dem Album. Sie decken viel Terrain ab, aber es fühlt sich immer noch nach uns an. Beide Stücke repräsentieren lange Entdeckungsreisen, aber es macht wahnsinnig viel Spaß, ihnen zuzuhören. Hoffentlich genießt sie jeder Hörer so sehr, wie wir es selbst tun. Unabhängig davon ist unsere Band so aufgestellt, dass wir Grenzen weder anerkennen noch uns von ihnen stoppen lassen. Was auch immer uns auf unserer Reise begegnet: wir haben vor, es mit voller Wucht zu durchbrechen.“ Das 2014 in Spokane, Washington gegründete Quartett hat längst zu einer Arbeits- und Spielweise gefunden, die Kreativität fördert und selbstbewusst ausleben lässt: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir machen können, was wir wollen – zumindest fast“, so Gabe. „Die einzige Einschränkung ist, dass ein neuer Song sich so anfühlen muss, als gehöre er unter den Namen ENTERPRISE EARTH. Das ist nicht einfach und greifbarer zu definieren. Dabei geht es mehr um ein Gefühl, dass Songs dazugehören.“

Die eigene Note ist dem Gitarristen wichtig: „Originalität ist in allen Musikrichtungen möglich“, zeigt er sich überzeugt. „Man darf nicht aufhören, danach zu streben, denn es ist definitiv etwas, was man erreichen kann. ENTERPRISE EARTH sind ein gutes Beispiel dafür. Wir streben das bewusst in dem Sinne an, als dass wir uns keine Beschränkungen auferlegen, wie unsere Art von Metal klingen darf. Wir lassen es einfach geschehen. Solange es Menschen gibt, die über den Tellerrand hinausschauen und nach Fortschritt streben, wird sich das Rad immer zu etwas Besserem, Schnellerem, Effizienterem, Interessanterem, usw. entwickeln. Es gibt keine Grenzen!“ Dass die Gruppe heute nicht mehr nur fordernd und komplex aufspielt, sondern auch auf manische Clean-Gesänge und düstere Atmosphäre setzt, ist dabei kein Zufall: „Alles, was wir tun, ist eine Art kohärente Weiterentwicklung unseres Wegs“, leitet der Musiker ein. „Ich möchte nichts machen, das sich so stark von unseren früheren Arbeiten unterscheidet, dass es unsere Fangemeinde schockiert oder entfremdet. Bei jeder Veröffentlichung versuchen wir, nur ein oder zwei Schritte voran zu gehen, damit der Übergang fließend ist und immer noch Verbindungen zu unserer vorherigen Arbeit hergestellt werden können. Auf „Luciferous“ hatten wir zum Beispiel einen Track mit einer cleanen Gesangspassage. Auf „The Chosen“ wiesen dann fast alle Songs eine Gesangspassage auf. Auf dem neuen Album ist der Gesang inzwischen zu einem festen Bestandteil unserer Identität geworden. Es hat allerdings ein paar Jahre und einige Veröffentlichungen gebraucht, um das zu erreichen. Hätten wir bereits auf „Luciferous“ nur gesungen, wäre das für unsere Fans viel zu viel gewesen, um es zu akzeptieren und zu verdauen. Veränderung ist ein langsamer, schrittweiser Prozess. Wir versuchen, heraus zu finden und zu verstehen, was für die Band an jedem Punkt unserer Reise angemessen ist.“

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Wichtig ist, dass ENTERPRISE EARTH umsichtig agieren und bereit sind, ihr Potenzial auszureizen. Die Musiker vertrauen darauf, dass sich am Ende alles fügt: „Jeder von uns hatte eine allgemeine Vision des Albums im Kopf, aber auch seine individuellen Ideen für den Sound“, erzählt Gabe. „Das hat uns dazu gebracht, etwas zu erschaffen, das so vielfältig und doch auch zusammengehörig und kraftvoll klingt. Weil es jede Menge Überschneidungen zwischen unseren individuellen Einflüssen gibt, kommt es am Ende so kohärent zusammen.“ Was seine persönlichen Referenzkünstler anbelangt, führt der Gitarrist Platten von Opeth, Van Halen, Boston, Stevie Ray Vaughan, Pantera und Necrophagist, die ersten fünf Metallica-Alben sowie die komplette Meshuggah-Discographie an, schiebt aber sogleich hinterher: „Diese Frage ist so schwer zu beantworten. Die besten Beispiele sind diejenigen, die wirklich nach sich selbst klingen. Künstler, die eine einzigartige Identität erlangt haben. Gruppen, die man nicht einfach mit einem oder zwei Etiketten definieren kann.“ Diese Art von Musik und Wahrnehmung strebt Gabe für sein eigenes Schaffen an: „Es ist unser Ziel, einzigartig zu sein und trotzdem vertraut zu klingen, ohne uns auf das zu beschränken, was wir schaffen können und was vermeintlich nicht. Wir sind eine Band, die Spaß daran hat, Neues zu kreieren und mit unserer Musik Freude in das Leben der Menschen zu bringen, die sie hören. Um das zu erreichen, bauen wir auf dem Fundament des Bestehenden auf und stoßen gleichzeitig in neue Gebiete vor. Das ist es, was jede große Band tun sollte. Man muss versuchen, das Rad neu zu erfinden.“

Mit „Death: An Anthology“ tut das Quartett genau das. ENTERPREISE EARTH befinden sich damit in guter Gesellschaft: „In der Welt der extremen Musik gibt es viele Entwicklungen und verschwimmende Genre-Grenzen“, weiß der Gitarrist. „Bands wie Sleep Token, Rivers Of Nihil, Lorna Shore, Jinjer, um nur einige zu nennen, ziehen furchtlos los und spielen Musik, die sie spielen wollen, die Genres verschmilzt und ihre Kunst und Identität wirklich zu ihrer eigenen werden lässt.“ Die Veränderungen des Umfeld führen dazu, dass die guten, eigenständigen Künstler auffallen und wachsen: „Aktuell bieten sich extremen Bands so breite Möglichkeiten und Chancen wie lange nicht“, freut sich der Musiker. „Wir lieben es, unsere Zehen in verschiedene Genres zu stecken und uns auszuprobieren. Unsere stilistische Vielfältigkeit hebt uns von der Masse ab; egal in welchem Genre. Der Bereich der extremen Musik bekommt wieder mehr Aufmerksamkeit, was eine wunderbare Sache ist. Wir verfolgen die Entwicklungen ganz genau und hoffen, dass sich schwere Musik auch im Mainstream weiter durchsetzen wird. Die Merchandise-Verkäufe auf Konzerten, die Streaming-Zahlen und das Wachstum vieler Heavy-Bands steigen. Das ist großartig.“

In der Tat, weshalb allein die Fragen offen ist, wie Gabe selbst auf die musikalische DNA von ENTERPRISE EARTH blickt: „Für mich sind wir schlicht eine Metal-Band“, erwidert der Gitarrist. „Oder noch besser: wir klingen einfach nach uns. Obwohl unsere Ursprünge im Deathcore liegen, hat sich die Band zu so viel mehr entwickelt. Wir vereinen Thrash, MetalCore, Death Metal, Prog, Jazz und mehr und haben einfach viel Spaß daran, variable Songs zu schreiben. Ich bin sehr glücklich und stolz darauf, dass wir unsere musikalische Identität über die Jahre zu etwas Einzigartigem entwickelt haben und freue mich schon jetzt auf die nächste Entwicklungsstufe unseres Sounds. Es gibt immer Raum zum Lernen und Wachsen.“

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