Das Zweitwerk von ERSHETU ergründet die Todesfolklore des japanischen Shinto. Obwohl die Franzosen wiederum von einer Black-Metal-Basis aus operieren und ihren cineastisch ausgerichteten Ansatz fortsetzen, klingt „Yomi“ ganz anders als sein Vorgänger. Genau darum geht es den Musikern, die nicht nur verschiedene Rituale rund um den Tod ergründen, sondern auch kontinuierlich neue Klangwelten erforschen wollen.
„Es ist toll zu wissen, dass es immer mehr Leute gibt, die uns folgen und unsere Arbeit schätzen“, äußert Komponist Sacr. „Das motiviert uns, jedes Mal noch besser zu werden. Die Beziehung zur Musik ändert sich dabei nicht, weil wir uns sowieso an die gewählte Zivilisation oder Religion anpassen. Die eigentliche Frage ist, welche Zivilisation wir jetzt erforschen wollen? Natürlich haben wir schon Ideen, aber es ist immer schwierig, anzufangen. Es gibt so viele interessante Ansätze. Für mich ist es bereits zu einer Art Spiel geworden, herauszufinden, welche Zivilisation wir als Nächstes erforschen. Einige Leute haben uns ein Album über Ägypten und die griechische Mythologie vorgeschlagen. Warum nicht? Die Zeit wird es zeigen!“ Der Konzeptualist und Lyriker Void (von Debemur Morti) zeigt sich mit der bisherigen Rezeption von ERSHETU zufrieden, wobei es den Musikern darum geht, ihre Hörer emotional abzuholen: „Musik wird nicht verstanden, sondern gefühlt“, so Void. „Entweder tut man das oder nicht. Manchmal ist es nicht der richtige Zeitpunkt und man fühlt sie nicht, kommt aber Jahre später darauf zurück und dann macht es „klick“. Manchmal braucht es einfach Zeit, um zu wachsen. Mit ERSHETU spielen wir ziemlich komplexe Musik. Die meisten Menschen müssen sich Zeit nehmen, um in diesen Bereich einzudringen. Einige Leute waren direkt begeistert. Für uns ist es wichtig, dass die Leute sich mit unserer Musik identifizieren. In der Kunst geht es darum, Gefühle auszulösen. Wenn wir es schaffen, dass man durch unsere Musik etwas fühlt, dann sind wir zufrieden. Das Gesagte gilt noch mehr bei Musik wie der unseren, die sehr filmisch angelegt ist.“
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Franzosen intuitiv unterwegs wären: „In unserer Musik gibt es absolut keine Experimente“, stellt Void klar. „Wir haben eine sehr klare Vorstellung davon, was wir tun. Denn wir wollen Musik anbieten, die uns/euch auf eine Reise mitnimmt. So, wie wenn man sich einen Film ansieht oder ein Buch liest, begibt man sich auf ein Abenteuer. Und es muss nicht unbedingt eine Fantasie mit Drachen und Magie sein. Es kann etwas so Bodenständiges wie der Tod sein. Der Tod ist etwas, das wir alle erleben – zum Beispiel den Tod eines geliebten Menschen. Man durchläuft verschiedene Phasen und Gefühle. Mit unserer Musik versuchen wir, den Tod im Rahmen verschiedener Zivilisationen und ihrer Religionen einzufangen. Unsere Musik erzählt eine Geschichte darüber, von der wir hoffen, dass die Menschen sich mit unserer Vision identifizieren. Es ist keine Dokumentation, es ist unsere Sichtweise darauf.“ Dass sich jedes Album konzeptionell einen neuen Kulturraum vornimmt, liegt in der Natur der Sache: „Die Idee hinter ERSHETU ist es, etwas Neues zu machen“, erzählt Sacr. „Das Wissen von Void und meine Erfahrung im Bereich Film führten dazu, dass die Songs von ERSHETU fast wie für einen Film geschrieben sind – mit vielfältigen Emotionen, die sich unerwartet ändern. Wie ein Soundtrack, der sich dem Bild anpasst. Für ERSHETU komponiere ich genau so. Was den Sound betrifft, passt Vindsval (Blut Aus Nord und Forhist – Gitarre, Bass und Gesang) seine Arbeit ebenfalls an das behandelte Thema an. Das Ergebnis ist jedes Mal unglaublich und einzigartig.“
Das liegt auch an den genutzten Folk-Elementen, -Klängen und -Instrumenten: „Die Hauptschwierigkeit besteht darin, die richtige Balance zwischen folkloristischen Elementen und den Black Metal-Parts zu finden, damit es nicht zu einem Folk-Album wird“, gibt Void zu bedenken, bevor Sacr ergänzt: „Vor dem Start eines Albums betreiben wir eine intensive Forschungsarbeit zu traditionellen Instrumenten und der behandelten Historie. Zunächst arbeite ich an den Kompositionen auf der Grundlage traditioneller Instrumente – zusätzlich zu Streichern, Blech- und Holzbläsern, wenn es welche gibt. Erst dann passen wir Gitarren, Bass und Schlagzeug ein. Bei einigen Instrumenten muss man auf deren Tonumfang achten. „Yomi“ wurde schneller geschrieben, weil es bereits unser zweites Album ist. Das erste ist meiner Meinung nach immer komplizierter.“ Der klangästhetische Unterschied ist ebenfalls deutlich: „Das Schwierigste an „Yomi“ war es, ein dunkles Album mit eher fröhlichen Passagen zu kreieren, besonders bei ,Jikoku‘“, erzählt Sacr. „Das ist für Black Metal nicht einfach, war meiner Meinung nach aber notwendig, um die Shinto-Religion zu beschwören. Der Tod ist in dieser dieser eine Stufe, die Seele unsterblich. „Yomi“ ist deshalb eher eine spirituelle Reise denn ein Abstieg in die Hölle. Auf „Xibalba“ sprachen wir über eine Zivilisation, die Menschenopfer darbrachte, um die Götter zu besänftigen. Daher war eine makabere und stammesbezogene Atmosphäre erforderlich.“