EYEHATEGOD

Ein bisschen Wehmut schwingt in Zeiten der Pandemie-Restriktionen sicherlich auch mit. „A History Of Nomadic Behavior“ ist aber vor allem Ausdruck der Geisteshaltung und der Geschichte von EYEHATEGOD. Das Quartett aus New Orleans tourt während seiner aktiven Phasen verdammt hart und das zuletzt verstärkt auch in asiatischen Ländern. Am destruktiven Sludge der Genre-Begründer ändert sich nichts.

„Das ist ja schon unsere zweite Zusammenarbeit mit Century Media,“ erwidert Frontmann Mike IX Williams auf die neuerliche Zusammenarbeit mit dem Label, das die Band einst in Unfrieden verlassen hat, angesprochen. „In den 1990er Jahren sind wir zum ersten Mal bei ihnen gewesen. Damals waren wir unerfahrene Teenager und haben einen irrwitzigen Vertrag über sechs Platten unterschrieben. Das war nicht wirklich clever von uns, aber wir wussten es nicht besser. Es ging uns vor allem darum, überhaupt ein Album zu veröffentlichen und Gratisflüge nach Europa abzustauben. Weiter haben wir nicht gedacht. Das Erwachen kam erst später, als es mit der Band an Fahrt aufgenommen hat. Wir haben unsere Lektion gelernt. Dieses Mal ist es ein Lizenz-Deal. Die Rechte an den Songs gehören weiterhin uns. Century Media kümmert sich um das Marketing und den Vertrieb. Darin sind sie wirklich gut. Die Zusammenarbeit läuft für uns weitaus besser als damals in den 1990er Jahren. Die Leute dort arbeiten sehr professionell.“

Mit ihrer vor sieben Jahren veröffentlichten, selbstbetitelten Platte sind EYEHATEGOD sogar in die Billboard Charts eingezogen: „Unser letztes Album, das wir unter anderem auch an Century Media lizensiert hatten, war offensichtlich so etwas wie ein Comeback-Album“, ordnet Mike ein. „Es war die erste Platte nach 14 Jahren. In der Zeit davor haben wir uns weiterentwickelt und in anderen Gruppen und Projekten zusätzlich an Erfahrung gewonnen. Was dazu geführt hat, dass wir es bis in die Billboard Charts geschafft haben, kann ich nicht sagen. Wir sind dieselben Typen, die dieselbe Musik spielen. Die selbstbetitelte Platte und jetzt auch „A History Of Nomadic Behavior“ klingen allenfalls etwas strukturierter und vielleicht auch weniger noisig. Dahinter steckt allerdings kein Kalkül. Das ist so schlicht passiert. Wir haben unsere Arbeitsweise und Einstellung nicht verändert. Dass alles einen Tick cleaner klingt, könnte den breiteren Anklang erklären.“

Auffällig ist auch der größere melodische Gehalt der Stücke, die aber weiterhin zäh-schleppend, roh und bösartig auslaufen: „Bei uns geschieht nichts absichtlich“, erklärt der Frontmann. „Wir setzen das um, was in uns ist oder uns zum Zeitpunkt des Songwriting beeinflusst und bewegt. Alles beginnt mit Jimmys Gitarren-Riffs und meinen Vocals. So ist es schon immer gewesen.“ Die Arbeit in der um einen Kopf reduzierten Vierer-Besetzung ändert an dieser Aussage nichts: „Da hat sich wirklich nichts geändert. Vielleicht fällt uns der Prozess insgesamt etwas leichter. Doch auch, als Brian Patton, der die Band aus familiären Gründen verlassen hat, noch ein Teil von uns gewesen ist, hatten wir beim kreativen Arbeiten keine Probleme. Wirklich aus der Welt ist Brian zudem nicht. Im letzten Jahr ist er für einige Shows eingesprungen, als Jimmy krankheitsbedingt nicht spielen konnte. Was das Touren anbelangt, ist es natürlich einfacher, wenn man nur vier Leute unter einen Hut bekommen muss. Live klingen wir aber unverändert. Unabhängig davon komme ich aus dem Punk. Ein Quartett ist für mich irgendwie dichter. Wir sind roh und wild. Für mich ist alles in Ordnung.“

Noch vor Erscheinen von „A History Of Nomadic Behavior“ ist eine Split-7Inch mit Sheer Terror auf den Markt gekommen, die ebenfalls Ausdruck der Verbundenheit mit Punk und Hardcore ist: „Wir sind mit ihnen schon lange befreundet“, so Mike. „Seid circa 1985 ihr erstes Album erschienen ist, sind sie eine meiner Lieblings-Bands. Natürlich ist es vor allem Hardcore, das ist offensichtlich, aber dazu gesellt sich ein Einfluss von Celtic Frost, der diesen besonderen Sound formt, der mich umhaut. Zuletzt sind wir 2019 mit ihnen getourt. Dabei ist die Idee der Split aufgekommen, die jetzt endlich erschienen ist.“ Auch sonst dreht sich bei dem Sänger in Pandemie-Zeiten weiterhin alles um die Band und Musik: „Einige von uns haben Teilzeit-Jobs angenommen. Ich selbst arbeite aber nicht, bin arbeitslos. Glücklicherweise läuft unser Merchandise-Shop gut, so dass etwas Geld reinkommt. Ich finde es toll, dass die Leute Bands in dieser schwierigen Phase so sehr unterstützen. In der Pandemie läuft unser Shop sogar besser als in normalen Zeiten. Die Split mit Sheer Terror ist ja auf unserem eigenen Label Take As Needed erschienen und verkauft sich ebenso gut wie die Neupressung unseres Debüts „In The Name Of Suffering“. All das hilft uns, diese Zeit zu überstehen, auch wenn ich lieber auf Tour wäre.“

Bis das wieder möglich sein wird, dürfte es noch dauern: „Ich versuche nicht daran zu denken“, äußert Mike. „Mit unserer Booking-Agentur in Europa sprechen wir lose über Termine im nächsten Sommer, doch derzeit lässt sich nichts mit Gewissheit planen. Hier in den USA ist es nicht anders. Alle hoffen auf den Sommer und wissen, dass es Post-Corona anders sein wird. Vielleicht benötigt man künftig Pässe mit dem Nachweis, dass man geimpft ist, um Shows besuchen zu dürfen. Das bleibt abzuwarten. Wie es mit Stage-Diving, Circle-Pits, etc. weitergeht? Wer weiß. Die Leute wollen auf den Shows abdrehen, sich betrinken und Unsinn anstellen. Wird es wieder so sein? Keine Ahnung.“ Der Frontmann selbst fühlt sich gesundheitlich fit, wieder durchzustarten, sobald es sicher möglich ist: „Ich bin zu 100 Prozent gesund“, stellt er klar. „Meine Lebertransplantation liegt etliche Jahre zurück. Das ist Vergangenheit. Seither lebe ich gesund und achte auf mich. Ich gehe auch nie ohne Maske aus dem Haus, weil ich mich sicher fühlen will. Mit Anfang 50 bin ich glücklicherweise noch nicht so alt, dass ich zur höchsten Risikogruppe zähle und befinde mich in guter Verfassung. Dennoch hoffe ich darauf, möglichst bald geimpft zu werden. Auf Konzerten wird es mit dem Abstand halten in jedem Fall schwierig.“

Die Zeit abseits von Straßen und Clubs genießt der Musiker: „Es fühlt sich aber schon auch eigenartig an“, erzählt der Frontmann. „Nach dem vielen Touren der letzten Jahre ist es aber toll, einmal eine Pause einzulegen. Mit der derzeitigen Situation kann ich gut umgehen. Auf Tour ist man quasi ja auch eingesperrt und sieht vor allem immer dieselben Leute. Unabhängig von der Pandemie, ist es ohnehin unser Plan gewesen, in der zweiten Jahreshälfte 2020 eine längere Auszeit zu nehmen. Das hat aufgrund der Umstände nur früher begonnen. Die Tour mit Napalm Death konnten wir noch wie geplant absolvieren, gefolgt von einigen Solo-Shows. Dann wurde alles abgesagt. Wir haben die Chance genutzt, das Album in Ruhe fertig zu stellen. Und um ehrlich zu sein: ich bin gerne zu Hause. Es stört mich nicht, isoliert zu sein. Außerhalb der Bühne bin ich keine sehr gesellige Person. Inzwischen ist es aber fast ein Jahr. So langsam würde ich gerne wieder aktiver werden.“

In Vorbereitung der Veröffentlichung von „A History Of Nomadic Behavior“ kann Mike nun zumindest über das sechste Album von EYEHATEGOD sprechen, das auch textlich sehr aktuell wirkt: „Viele der Texte sind lange vor 2020 geschrieben worden. Es war eine glückliche Fügung, dass sie in die Zeit passen. Ich selbst bin eine politische Person, auch wenn die Band insgesamt weniger politisch ist. Uns geht es darum, Spaß zu haben. Ich habe mich auch nicht in der Absicht hingesetzt, Texte mit einem politischen Anstrich zu schreiben. Das fließt eher subtil mit ein und passiert.“ Im Rahmen des Projekts Dead End America wählt der Sänger in der Tat noch deutlichere Worte gegen Trump:

„Die letzten vier Jahre sind ein Albtraum gewesen. Dieser Typ scheint geistig nicht gesund zu sein. Zusätzlich ist er auch noch ein Nationalist und Rassist. Für unser Land ist das schlimm. Ich bin weder ein Patriot noch interessiert mich sonderlich, wie es um unser Land steht. Doch selbst mir ist nicht verborgen geblieben, welchen Schaden er völlig grundlos angerichtet hat. Es ist eine Schande, dass seine Lügen bei den ungebildeten Schichten so sehr verfangen. Das ängstigt mich. Ich freue mich, dass seine Amtszeit vorüber ist, doch sein Geist und er selbst bleiben den USA erhalten. Und Biden ist auch nur ein weiterer Politiker. Ich weiß nicht so recht, was ich von ihm erwarten soll. Der Rassismus und die Aggressivität werden aus dem Weißen Haus verschwinden, aber es braucht noch weitaus mehr, um die Lage und Stimmung wieder zu verbessern.“

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