Die Belgier setzen auf manisch-bindende Gesänge und fiese Anti-Hooklines. Poly-Rhythmik und Frickelei bestimmen die andere Hälfte des Spiels von HIPPOTRAKTOR. Auf dem Zweitwerk kommt das eindrücklich zur Geltung.
„Für mich tendiert „Stasis“ eher zur schweren und harten Seite der Dinge, mit einer gelegentlichen Aufhellung“, formuliert Chiaran Verheyde, Songwriter/Gitarrist, seine Sicht. „Gleichzeitig denke ich, dass dieses Album mehr polarisiert als „Meridian“, unser Debüt.“ Angesichts dieser Aussage ist Obacht geboten. Fest steht, dass die Gruppe aus Mechelen bewusster agiert. „Generell würde ich progressive Musik als ein Genre beschreiben, in dem der Spielraum weniger begrenzt ist als in vielen anderen Spielarten“, fasst Chiaran sein Verständnis in Worte. „Die Songs können länger sein, untypische Song-Strukturen und Töne verwenden und haben in der Regel eine größere Bandbreite an Farben. Bei der progressiven Musik, die ich am meisten liebe, weiß ich nie, was als Nächstes kommt. Es ist fast immer überraschend.“
Diese Charakterisierung lässt sich auf „Stasis“ übertragen, ohne dass es HIPPOTRAKTOR darauf anlegen: „Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich nie mit dem Gedanken ans Schreiben gehe, dass ich etwas Neuartiges erschaffen muss“, stellt der Gitarrist klar. „Ich schreibe einfach das, was ich hören will, und das macht mich wohl auch eigenständig. Originell zu sein, hat für mich damit zu tun, dass man seinem Bauchgefühl folgt und ein Gespür dafür entwickelt, was man in der Musik mag und was nicht. Als Songwriter ist man der Kurator seiner eigenen Arbeit. Das nehme ich sehr ernst. Der große Unterschied zu „Meridian“ liegt für mich darin, dass ich dieses Mal wusste, worüber ich schreiben wollte. Zusätzlich habe ich mich von Sander Rom’s neuem Album mit L’ITCH inspirieren lassen. Er hat diese unmöglich zu begreifenden Song-Strukturen geschaffen, die einen auf eine interessante Reise mitnehmen. Ich hatte also das Gefühl, dass ich mich beim Schreiben steigern musste und bin aufs Ganze gegangen. Mein Ziel ist es, dass der Hörer sich nie langweilt. Vielleicht mache ich beim nächsten Mal genau das Gegenteil. Wer weiß?“
Nach dieser Aussage überrascht die offenbarte Sphäre, aus der sich Chiaran beeinflussen ließ: „Beim Schreiben von „Stasis“ haben mich religiöse Gebäude wie Kirchen oder Moscheen stark inspiriert. Diese Räume und ihre Atmosphären haben etwas, was mich fasziniert. Immer wieder habe ich mich gefragt, was passieren würde, wenn wir an die Menschheit glauben würden, anstatt an Götter oder Privatkapital.“ Das zweite Element, das bei HIPPOTRAKTOR eine wichtige Rolle spielt: „Jedes Musik-Stück hat einen bestimmten Energiehaushalt“, zeigt sich der Songwriter überzeugt. „So nenne ich es jedenfalls und meine damit die Art und Weise, in der wir Musiker dem Zuhörer sagen, was und vor allem wann er etwas fühlen soll. Es gibt eine Aufmerksamkeitsspanne, die respektiert werden muss, um eine Geschichte effektiv zu erzählen. Gefühlsbasiertes Vorgehen ist deshalb eine absolute Notwendigkeit, um den Energiehaushalt eines Songs richtig zu gestalten.“
Pictures: Sam Coussens