TUNING

Weniger ist mehr. Bei der Entwicklung ihres Debüts „Hanging Thread“ vertrauen TUNING auf Leidenschaft und Herzblut. Im melodisch gefärbten Spiel zwischen Hardcore und Punk geht es spritzig bis temporeich zu, wobei die Gruppe aus der Bay Area unterschiedliche Prägungen erkennen lässt und einen eigenen Blick auf ihre Szene einnimmt.

Im Line-Up der kalifornischen Band stehen viele erfahrene Spielart-Protagonisten, die in neuer Konstellation von vorne beginnen – allen voran Initiator und Frontmann Jeremy D. Smith (ex-Modern Problems, Dead Hearts, Halfmast, Plagued With Rage), der in den 1990er Jahren eine Triebfeder der Szene in Buffalo, New York gewesen ist. Nun lebt er in Kalifornien und hat ein neues Outlet zusammengestellt: „Ich stimme zu, dass Hardcore und Punk in gewisser Hinsicht Musik der Jugend sind“, äußert Jeremy. „Sie drückt Wut und Verwirrung aus und ist wohl auch ein wenig der Versuch, die Welt zu verstehen. Aber dieses Gefühl kann bis ins hohe Alter Bestand haben. Um ehrlich zu sein, kenne und finde ich keine andere Szene, mit der ich mich identifiziere. Der Hardcore ist einer dieser rar gesäten Orte. Ein Teenager bin ich mit Sicherheit nicht mehr, doch ich habe mein ganzes Leben lang immer Hardcore- oder Punk-Songs geschrieben und werde das auch weiterhin tun. Ich bin davon überzeugt, dass ich auch in meinem Alter noch ein aktiver ein Teil dieser Szene sein kann. Nur als hipp oder frisch werde ich schon lange nicht mehr angesehen. Das ist für mich okay. Dem, was vor sich geht, fühle ich mich dennoch verbunden. Ich weiß und akzeptiere, dass es sich um ein Spiel von überwiegend jungen Menschen handelt. Zum Glück sind sie freundlich genug, auch mich noch spielen zu lassen.“

Bis es mit TUNING losging, hat es aber gedauert: „Es brauchte eine Weile, bis ich alles zusammenbekommen habe“, erzählt der Frontmann. „Zunächst haben Murt (Schlagzeug) und ich alleine angefangen. Es war ein zäher Kampf um die übrigen Mitglieder. Ich bin erst Ende 2015 nach Kalifornien gezogen, weshalb ich hier nicht so viele Musiker kenne. Also habe ich einfach weiter Songs für mich geschrieben. Schließlich hatten wir neun Tracks und mit Ben einen Bassisten sowie in Adrian und Matt zwei Gitarristen.“ Was seinen Ansatz anbelangt, hält es Jeremy schlicht und intuitiv: „Im Allgemeinen schreibe ich Songs, die ausdrücken, wie ich mich fühle. Ich schreibe die Art von Musik, die ich kenne und in mir ist. Dabei handelt es sich zumeist um melodischen Hardcore-Punk. Ich möchte, dass die Leute mitkommen und sich dafür interessieren, was die Band tut und zu sagen hat. Tun sie das nicht, werde ich trotzdem so schreiben und singen, wie ich es tue. Die aktuell populären Hardcore-Stile sind ziemlich weit von dem entfernt, was wir tun, aber das ist für mich okay. Es gibt so viele unglaubliche Bands, die die Dinge für mich interessant und vital halten. Ich selbst beziehe mich auf die Sounds und Stile, mit denen ich aufgewachsen bin. Dabei würde ich dennoch gerne glauben, dass das Resultat aktuell und frisch klingt.“ Motivation zieht Jeremy aus der Beschäftigung mit neuen Gruppen:

„Aktuell gibt es mehr Bands, von denen begeistert bin, als noch vor sieben oder acht Jahren. In der Bay Area, aber auch national, gibt es so viele tolle Acts wie Abuse Of Power, Fury, Mindforce, Ekulu, Exit Order, Torso, Cell Rot, Provoke, Screaming Fist, Discourage, Clueless, Dying For It, No Right oder auch Primal Rite. Die sind schlicht toll.” Gleichfalls ist dem Musiker und Sänger daran gelegen, mit seinen Hörern zu interagieren: „Ansprache und Austausch sind mir sehr wichtig,“ so Jeremy „Auf Shows versuche ich stets, mit der Menge zu kommunizieren und meine Motivation für die Lieder zu erklären. Einige Leute interessiert das, andere nicht. Das ist in Ordnung. In jedem Fall versuche ich, zu überraschen und mit eigenen Gedanken heraus zu fordern. Darüber zu reden, wie es ist, ein Mensch zu sein, ist wichtig. Also sind viele meiner Texte davon geprägt. Da Beziehungen für uns Menschen von großer Bedeutung sind, schreibe ich über verschiedene Aspekte davon – von Freunden, Familien, Mitarbeitern und Liebenden.“

Im Kontext der Punk-/Hardcore-Gruppe TUNING funktioniert das unpathetisch und ehrlich: „Was ich in meinen Texten abdecke, ist nicht unbedingt offensichtlich wütend. Es ist vielmehr durchdacht verpackt und bewusst kanalisiert. Beispielsweise gibt es auch Lieder, mit denen ich den Tod mir lieber Menschen verarbeite. Ich war traurig, verwirrt und wütend darüber, wie sie gestorben sind, also habe ich darüber geschrieben. Der Text an sich ist aber nicht wütend.“ Jeremy D. Smith fasst sein Menschsein und seine persönlichen Erkenntnisse in Worte. Die Musik auf „Hanging Thread“ fällt ebenfalls gefühlsbetont und bodenständig aus. Alles greift ineinander:

„Ein bestimmtes Überthema gibt es nicht. Ich meine, man könnte wohl sagen, dass es um die inneren Kämpfe geht, die ich als Mensch durchstehen muss. Die Songs werden aus meiner Sicht geschrieben, so, wie ich die Welt sehe und was meine Kämpfe auszeichnet. Zusätzlich versuche ich, Ratschläge zu geben. Vor allem aber stelle ich dar, was für mich funktioniert. Ich bin kein Experte für andere, versuche aber immer, mich zu einhundert Prozent einzubringen. Das ist es, was es für mich auszeichnet. Ich bin ich und versuche nicht, irgendetwas anderes zu sein. Nur, wenn man sich an diese Maxime hält, kann man als Musiker wirklich effektiv sein.“ Die vertonte Einfachheit und Emotionalität spricht für TUNING, die mit „Hanging Thread“ ein tolles, eindringliches Debüt vorlegen.

www.tuning.bandcamp.com