UNDEROATH

Zuletzt stand das Veröffentlichungsjubiläum der 2004er Referenzplatte „They’re Only Chasing Safety“ im Vordergrund. Nun legen UNDEROATH mit „The Place After This One“ ihr zehntes Album vor. Das Quintett aus Tampa erfindet sich darauf einmal mehr neu.

Mutig durcheinandergewirbelte Sounds im Spannungsfeld zwischen Post-Hardcore, Emo/Screamo und Metalcore sind bei der Formation aus Florida gesetzt. Die Prioritäten und das musikalische Antlitz der Gruppe haben sich im Verlauf ihrer Karriere schon mehrfach geändert. Risikofreude und ein kreativer Vorwärtsdrang treffen auf Leidenschaft und Eigenständigkeit, die im Ergebnis stets nach UNDEROATH klingen. Mit Blick auf die globalen Touraktivitäten in 2024, bei denen der US-Fünfer seinen vierten Longplayer in kompletter Länge gespielt haben, äußert Frontmann Spencer Chamberlain danach befragt, ob den Musikern klar war, welch stilprägendes Material ihnen geglückt war: „Wir haben uns niemals Gedanken darüber gemacht, welche Wirkung diese Songs haben könnten. Als dieses Album entstand, waren wir nicht viel mehr als unreife Teenager. Dass wir die Songs zwanzig Jahre später immer noch spielen, ist einerseits verrückt. Andererseits spielen wir bis heute Stücke aller unserer Platten, sodass auch die frühen Alben und ihre Lieder für uns nie wirklich verschwunden sind. Es gibt einige Tracks, die immer ein fester Teil unserer Setlist sind – etwa die Fanfavoriten und jeweils neue Songs. Dass wir „They’re Only Chasing Safety“ auf der Jubiläumstour in kompletter Länge gespielt haben, war aber schon etwas Besonderes.“ Einen eigenen Favoriten unter den Tracks der eigenen Durchbruchplatte mag der Sänger nicht nennen: „Auf keinen Fall! Wir spielen dieses Album und diese Songs schon ewig. Es geht einfach nicht, einen Favoriten aus etwas zu wählen, das man als Teenager geschrieben hat.“

In der Folge haben UNDEROATH etliche weitere tolle Longplayer veröffentlicht, die breite Beachtung in der Core-Szene gefunden und die Relevanz der Formation aus Florida unterstrichen haben: „Es ist mehr als 21 Jahre her, dass wir diese Songs geschrieben haben. Das lässt sich mit einem anderen Leben vergleichen“, erwidert Spencer Chamberlain. „Weißt du selbst noch, was du vor mehr als 20 Jahren gefühlt und gemacht hast, und kannst es mit dem vergleichen, was du heute tust? Was ich meine: Wenn man älter wird, verändert man sich, wird erwachsen und zu einem anderen Menschen. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der Band wider. Gemeinsam haben wir seit dem Schreiben von „They’re Only Chasing Safety“ tausend andere Dinge ausprobiert und genauso viele Lebenserfahrungen gemacht. Egal, ob wir uns in den Jahren seither gut oder schlecht verstanden haben, das Tolle an UNDEROATH ist, dass wir gemeinsam noch immer einen Mittelweg gefunden haben, wenn es um Songs und unsere Weiterentwicklung geht. Darin drückt sich aus, dass wir alle das lieben, woran wir gemeinsam arbeiten. Ich bin fest davon überzeugt, dass jede unserer Platten die beste Darstellung von uns als Songwriter zu diesem bestimmten Zeitpunkt ist.“ Stolz ist der Musiker auf die Konstanz und Grundlage seiner Gruppe:

„In unserer aktuellen Besetzung sind wir seit 2003 aktiv, auch wenn die Band an sich noch einige Jahre länger besteht. Davor waren wir allerdings nicht mehr als eine Highschool-Band, die unregelmäßig ein paar Shows spielte und noch nicht wusste, was sie wollte. Erst als wir das für uns geklärt hatten und die Besetzung fest war, ging es wirklich los. Mit dem Namen, den wir uns bereits gegeben hatten, haben wir einfach weitergemacht. Wenn ich mich umschaue, bin ich froh, dass die schwere Musikszene noch immer lebendig und erfolgreich ist. Dass einige Künstler neue Wege einschlagen und Risiken eingehen, ist wichtig und richtig. Das tun wir selbst auch. Niemand und auch ich selbst nicht will immer wieder denselben Mist hören, den man in- und auswendig kennt. Abgesehen davon, dass wir uns für ein paar Jahre von unserem Schlagzeuger getrennt und ihn dann wieder zurückgeholt haben, gibt es nicht viel zu sagen, als dass wir eine Band sind, die eng zusammensteht und die die Leute kennen. Unser Ziel ist es, so lange wie möglich miteinander als Freunde Musik zu machen und gemeinsam Grenzen zu überschreiten.“

Ob die einzelnen Veröffentlichungen von UNDEROATH gut oder schlecht ankommen, ist für den Sänger von nachrangiger Bedeutung: „Für uns spielen solche Fragen keine Rolle“, so Spencer. „Ehrlich gesagt, denke ich über so etwas nicht einmal nach. Für mich sind wir einfach fünf Typen, die sich darauf einigen können, wie die Songs klingen sollen, die sie gemeinsam in die Welt hinaustragen. Dabei lieben wir es, uns selbst und einander zu fordern, doch die Meinung von Leuten von außen beeinflusst uns in keiner Weise. Es fällt uns schon schwer genug, uns fünf auf einen Nenner zu bringen. Mein Ansatz ist schlicht und einfach der, mit den anderen etwas zu erschaffen, das ich persönlich hören möchte. Mein Maßstab dabei: Ich stelle mir vor, dass ich in meinem Auto sitze und überlege, ob ich mir selbst unsere Stücke anhören oder lieber den Sender wechseln würde. Damit bin ich bis heute gut gefahren.“ Was an „The Place After This One“ anders ist, beschreibt der Frontmann wie folgt: „Wir haben noch nie ein Konzeptalbum gemacht. Das ist der Punkt, an dem wir uns gerade befinden. Alle Bandmitglieder haben in den letzten Jahren viel durchgemacht. Über persönliche Empfindungen und Begebenheiten zu schreiben, ist meiner Erfahrung nach die beste Form der Therapie. Normalerweise schreibe ich über die schwierigen Dinge und nicht über die schönen Seiten des Lebens. Mein Wunsch ist es, dass die Leute diese Lieder unvoreingenommen und ohne Vorurteile hören und versuchen, noch mehr als üblich auf die Texte zu achten. Vielleicht ist ja etwas für sie dabei.“

Auch stimmlich wirft Spencer auf dem neuen Longplayer wieder viel in die Waagschale: „Ich selbst bin mein größter Kritiker und definitiv nicht der Sänger, der sein Vermögen selbst besonders hoch einschätzt“, antwortet er zurückhaltend. „Es gibt viele Momente, in denen ich verdammt hart zu mir selbst bin. Deshalb versuche ich immer, mich selbst zu übertreffen und zu verbessern – mit jedem neuen Stück. Was ich ebenfalls versuche, ist, keine Erwartungen an diese Band und unsere Songs zu stellen. Alles, was ich möchte, ist, dass wir fünf von dem, was wir gemeinsam erschaffen, begeistert sind. Wenn wir das erreichen, bin ich startklar.“ Was das Experimentieren angeht, treiben sich die Musiker gegenseitig an, als Gruppe an ihre Grenzen und über diese hinaus zu gehen: „Darüber hinaus ist es wichtig zu verstehen, dass wir uns klanglich auf nichts festlegen, weil das unserem Selbstverständnis zuwiderläuft“, verdeutlicht der Frontmann. „Meistens fangen wir einfach an, Ideen zu entwickeln, die völlig aus dem Rahmen fallen. Dennoch passen sie zu uns, weil wir fünf sie umsetzen. Das Stück ,Teeth‘ vom neuen Album ist dafür ein gutes Beispiel und einer der ausgefallensten Songs, die wir je gemacht haben. Es ist ein Lied, dessen Rückgrat hauptsächlich aus einem Sample besteht – ähnlich wie bei einem Hip Hop-Song aus den 1990er Jahren. Ich liebe ihn, und es hat sehr viel Spaß gemacht, ihn zu kreieren.“ Auch sonst herrscht mit Blick auf das zehnte Album viel Zuversicht:

„Für mich markiert „The Place After This One“ den Start des zweiten Kapitels von UNDEROATH“, kündigt der Sänger an. „Unsere ersten 20 Jahre waren Kapitel eins. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht und wie das Ergebnis klingen wird. Die neue Platte ist fraglos anders, aber sind sie das nicht alle? Wir treiben uns gegenseitig an und schreiben die Songs, die wir selbst hören wollen. Noch dichter geht es nicht. Dies ist aber das erste Album, das ich im Nachhinein und Rückblick auf das geschrieben habe, was ich durchgemacht habe. Das macht für mich die Einzigartigkeit von „The Place After This One“ aus.“ Die Band aus Florida zeigt sich mit ihrer Arbeit hochzufrieden und will auch andere Künstler dazu motivieren, auf die eigene Durchsetzungskraft und Qualität zu vertrauen und sich auf ihrem Weg nicht beirren zu lassen: „Bleibt euch selbst treu“, fordert Spencer. „Macht Musik, die euch glücklich macht, und schielt nicht auf das, was cool und gerade angesagt ist. Wen interessieren schon Trends? Ehrlichkeit setzt sich am Ende immer durch. Es kann sein, dass es doppelt so lange dauert, aber auch, dass es über Nacht funktioniert. Wenn man glücklich ist, ergibt sich der Rest von selbst.“

Das klingt zu einfach und schön, um wahr zu sein. Im Fall von UNDEROATH hat es aber tatsächlich so funktioniert. Und wer will schon mit Spencer Chamberlain streiten, der seit mehr als zwanzig Jahren eine stilprägende Genre-Ikone ist. Noch dazu unter dem Eindruck des starken „The Place After This One“, das so mitreißend unstet und variabel daherkommt. Die bisherigen Single-Auskopplungen ,Generation No Surrender‘, ,Teeth‘ und ,Survivor’s Guilt‘ lassen das Potenzial des Materials deutlich erkennen. UNDEROATH nehmen sich alle Freiheiten, die sie benötigen, um groß aufzutrumpfen.

UNDEROATH – Underoath

Photo credit Jimmy Fountain