Es gibt mehrere Variationen des Band-Namens: ORTHODOX, ORTHODOX TN und ORTHODOX STRAIGHT EDGE. Eines ist jedoch unmissverständlich: Das Quintett aus Nashville, Tennessee hat mit „A Door Left Open“ seinen vierten Longplayer vorgelegt. Die zwölf Tracks klingen heftig, schonungslos und bedrohlich.
„Die einfachste Antwort ist, dass „A Door Left Open“ eine Metapher für das Unheimliche ist, das möglicherweise auf dich wartet oder dir entgangen ist“, erklärt Frontmann Adam Easterling. „Emotional gesehen ist es ein Song – beziehungsweise ein Album – über die Vorbereitung auf eine extreme Zeit des Wandels.“ Gesellschaftskritik sei dabei jedoch nicht intendiert: „Unsere Songs haben nichts Politisches an sich“, so der Sänger. „Ich möchte auch nicht behaupten, dass ich eine wirklich tiefgründige Botschaft habe, die ich vermitteln will. Das Album ist vielmehr eine Metapher für die sehr realen Auswirkungen des Lebens und dafür, dass es immer einen Weg findet, dich zu erreichen – egal, was du tust oder wo du dich versteckst.“ Mit ,Blend In With The Weak‘ liefert die Band dafür eine stilechte Straight Edge-Hymne:
„ORTHODOX war schon immer eine Straight Edge-Band, aber es ist schon eine Weile her, dass ich einen Song geschrieben habe, der diese Botschaft so direkt vermittelt wie dieser“, erzählt Adam. „Angesichts der Intensität und Direktheit, die dieses Album angenommen hat, erschien es mir der richtige Zeitpunkt, die Leute daran zu erinnern, womit diese Band begonnen hat – und was sie seit 2012 geblieben ist.“ Diskussionen über verwischte Grenzen zwischen früher und heute hält er für überflüssig: „Straight Edge ist für mich schlicht ein Bekenntnis dazu, sich gegen Sucht zu stellen und Entscheidungen zu treffen, die einem selbst guttun.“ Diese Haltung ist der Band wichtig: „Wir sind eine Straight Edge-Band und werden es immer sein“, bekräftigt Adam. „Das ist für uns keine Frage der Relevanz, sondern eine Selbstverständlichkeit.“ Gleichzeitig, so betont er, habe man sich nie als traditionelle Straight Edge-Band verstanden: Es gäbe keine pathetischen „Still Straight Edge!“-Hymnen – vielmehr spiegeln alle Songs Lebenserfahrungen wider, die sie zu dieser Haltung gebracht haben. Ob ORTHODOX zur „neuen Generation“ zählt, möchte Adam nicht beurteilen: „Wir sind ja schon eine ganze Weile dabei – aber ich bin froh, dass die Idee von Straight Edge und die damit verbundene Musik heute nicht mehr so abgeschottet ist wie früher.“ Seit über einem Jahrzehnt ist die Band nun schon in der Szene aktiv:
„Die Besetzung hat sich seit unserer Gründung 2012 viele Male geändert. Ich bin das letzte verbliebene Gründungsmitglied“, erklärt Adam. „Das aktuelle Line-up gibt es seit 2018. Im Laufe der Jahre haben wir eine kreative Chemie und ein Vertrauen zueinander entwickelt, das uns beim Songwriting sehr hilft.“ Struktur und Engagement sieht die Band dabei als essenziell an: „Wir legen Wert auf eine straffe Organisation und erwarten von jedem, dass er seinen Beitrag leistet – auch damit wir auf Tour ein hohes Maß an Professionalität wahren können.“ Die Wiederbelebung der Szene in den Staaten freut ihn: „Es ist schön, dass es wieder mehr Edge-Bands in den USA gibt, nachdem es lange so wenige waren. Ich möchte unseren Freunden von NO CURE, BOUNDARIES, INCLINATION und YEAR OF THE KNIFE einen besonderen Gruß aussprechen.“ Die enge Verankerung in der Szene zeigt sich auch in den Feature-Gästen auf „A Door Left Open“: „Wir sind glücklich, mit so vielen großartigen Musikern persönlich befreundet zu sein“, sagt Adam. „Viele dieser Verbindungen entstanden auf unseren Tourneen in den letzten zehn Jahren.“ Dass Matt McDougal (BOUNDARIES) dabei ist, war naheliegend:
„Er ist einer meiner engsten Freunde in der Musikszene.“ Auch Andrew Neufeld (COMEBACK KID) war gesetzt: „Wir waren schon mehrfach mit ihnen auf Tour – und er hat uns immer unterstützt.“ Und da Shiloh (Bass) im Tour-Team von LORNA SHORE gearbeitet hat, die mit MASTODON unterwegs waren, ist schließlich auch Brann Dailor Teil des Albums geworden. Was das eigene Schaffen betrifft, ist Adam offen und konsequent zugleich: „Musik ist Musik – egal, ob sie Straight Edge ist oder nicht“, erklärt er. „Es spielt keine Rolle, ob der Schöpfer des Songs, den du hörst, deine persönliche Haltung teilt. Kunst ist subjektiv. Nur Kunst zu konsumieren, an die man glaubt, wäre unfassbar langweilig. Folge Menschen, mit denen du nicht einer Meinung bist. Höre Texte, die dich wütend machen. Achte auf Leute, die Risiken eingehen. Fühle, was du fühlst – und hinterfrage nicht, warum.“ Genau aus diesem Mindset heraus entstehen Songs, die sich kompromisslos Genre-Grenzen widersetzen: „Ich würde nicht sagen, dass wir versuchen, bestimmte Stile gezielt einzufangen“, so Adam. „Wir schreiben einfach das, was wir für großartig halten. Letztlich lehnen wir es ab, dass Bands sich an das halten sollen, was sie schon gemacht haben oder wofür sie bekannt sind. Stattdessen nehmen wir die Zutaten, die wir haben, verstärken das, was funktioniert – und lassen weg, was nicht.“
Musikalisch lässt sich der Sound von ORTHODOX als stark beeinflusst von aggressivem NuMetal à la SLIPKNOT, CHIMAIRA & Co beschreiben – neben der Anlage zwischen Heavy-Hardcore und MetalCore. Was das oft bemühte „Grenzen verschieben“ betrifft, bleibt Adam nüchtern: „Ich denke nicht, dass wir uns so weit aus dem Fenster lehnen würden. Wir tun einfach das, was viele andere schon getan haben – nur auf unsere Art.“ „A Door Left Open“ klingt unerbittlich intensiv und steht dauerhaft unter Spannung: „Unser Ziel war es, ein Album zu machen, das niemals nachlässt – und das Potenzial hat, Unbehagen zu erzeugen.“ Um diese Energie einzufangen, entschied sich die Band für einen erfahrenen Produzenten: Randy LeBoeuf, der bereits mit JESUS PIECE, KUBLAI KHAN TX, THE ACACIA STRAIN und BOUNDARIES gearbeitet hat: „Randy ist ein kreativer Kraftprotz. Seine Arbeitsmoral ist unübertroffen, und seine Leidenschaft für jedes Projekt gibt einem das Gefühl, dass er Teil der Band ist. Wir vertrauen seiner Meinung – und weil wir wissen, dass er uns Ideen liefert, die außerhalb unserer gewohnten Denkweise liegen, können wir größere Risiken eingehen und weiter gehen als je zuvor.“
Pictures credit: Ryan Johnson