„Sundiver“ steht als helles Gegenstück zum dunkel gestimmten Vorgänger „Datura“. BOSTON MANOR setzen dieses Mal auf Optimismus und Zuversicht – textlich wie musikalisch. Damit einher geht eine noch größere Generalität des Ansatzes der Briten zwischen Indie-, Alternative- und Shoegaze-Rock sowie Pop- und Elektro-Affinität.
„Zu der Zeit, als wir anfingen, waren wir alle große Fans der Bands und Bewegung rund um Pure Noise und Run For Cover Records“, holt Gitarrist Mike Cunniff aus. „Das hat uns dazu inspiriert, uns zusammenzutun und die Band zu gründen. Von Anfang an haben wir immer hart an uns gearbeitet. Ein wirklich wichtiger Aspekt für uns ist, dass wir Teil unserer Lieblingsband sein wollen. Vor der Pandemie waren wir ständig unterwegs und näherten uns der totalen Erschöpfung. Die Pandemie gab uns allen dann die dringend benötigte Zeit zum Ausruhen und Neustarten. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich ins Bett gehen und so viel Musik hören und Live-Videos meiner Lieblingskünstler ansehen konnte, wie ich wollte. Es herrschte die beängstigende Frage und Ungewissheit, ob es Live-Musik überhaupt wieder geben würde. Deshalb hörte ich mir jeden Abend alle meine Lieblingskünstler an. Dieses Ritual gab mir wirklich viel Frieden und Trost. Diese Tage waren äußerst wichtig für die prägenden Ideen von „Datura“ und „Sundiver“.“ Auf die unvermeidliche Nachfrage konkretisiert der Gitarrist: „Während der Pandemie habe ich mir eine Menge Pop-, Rock- und Metal-Musik aus den späten 1990er Jahren und frühen 2000ern angehört. Das war die Zeit, als ich Musik zum ersten Mal für mich entdeckte. Ich wollte wieder dieselbe Begeisterung spüren wie damals als Kind, weil ich es liebe, wie hart und direkt selbst Pop-Musik damals war. Zu den neueren Künstlern, die ich besonders aus der Perspektive der Gitarre inspirierend finde, gehören DEAF HEAVEN, ALCEST, ART SCHOOL GIRLFRIEND und CHELSEA WOLFE.“
Als besonders experimentell oder bewusst vorwärts gerichtet sortiert Mike das Schaffen seiner Gruppe dabei nicht ein: „Es gibt definitiv Künstler, die weiterhin die Grenzen ausloten, aber mittlerweile auch so viel Musik, dass es sich anfühlt, als wäre schon alles gemacht worden“, so der Brite. „Wir versuchen nicht, das Rad neu zu erfinden, hoffen aber gleichwohl, dass wir Musik schreiben, die fesselnd ist, Spaß macht und bei den Zuhörern Anklang findet. Es macht den gesamten Prozess einfacher, wenn man sich darauf konzentriert, etwas zu erschaffen, das man selbst hören möchte, und nicht darauf achtet, was musikalisch um einen herum passiert.“ Der Abschluss des Konzeptwerks, das sich über zwei Platten erstreckt, wird diesem Anspruch gerecht: „Was wir mit „Sundiver“ geschaffen haben, ist die wahre spirituelle Essenz von BOSTON MANOR“, zeigt sich der Gitarrist überzeugt. „Auch wenn es sich völlig anders anhört als alles, was wir bisher gemacht haben, gibt es so viele Parallelen und Verbindungen zu unserem Backkatalog. Unserer bisheriger Weg und jedes einzelne Stück hat uns zu diesem Moment und dieser Platte geführt. Kunst ist ein sich ständig weiterentwickelnder und wachsender Prozess, bei dem man lernt, was man mag und was nicht. Das Konzept der beiden Alben war ein Unterfangen, das sich anfangs gar nicht so monolithisch anfühlte. Vor allem, weil wir durch die Pandemie einen Neustart und so viele neue Ideen hatten, wohin wir unsere Musik entwickeln wollten.“
Am Ende stand die Gruppe aus Blackpool vor der Qual der Wahl: „Wenn wir aufnehmen, möchten wir, dass die Songs bis zu einem gewissen Grad als Demo vorliegen“, erzählt Mike. „Wenn man mehr Zeit für Improvisation und „Studiozauber“ aufwenden kann, macht das das Leben viel einfacher. Für diese Platte hatten wir für jeden Titel, der auf dem Album erschien, fast zehn unterschiedliche Demos und Arrangements plus etwa 150 weitere Song-Ideen, die wir nicht verwendet haben.“ Die Tracks von „Sundiver“ überzeugen dafür nun mit einer verbindenden Konsistenz und einer lockeren Leichtigkeit: „Viele der Songs weisen eine Menge Pop-Sensibilität auf“, stimmt der Musiker zu. „Diesen Aspekt der Band wollten wir auf möglichst ehrliche Weise erforschen. Stücke wie ,Solve‘, ,What Is Taken‘, ,Never Will Be Lost‘ und ,Horses In A Dream‘ fühlen sich so an, als würden wir Neuland betreten. In diesen Songs steckt viel 90er-Jahre-Pop, R&B und Hip Hop. Unser übergeordnetes Ziel ist es, laute, schwere Pop-Songs zu schreiben, die kompromisslos sind und so klingen, als könnten sie vor 20 Jahren oder in 20 Jahren in der Zukunft aufgenommen worden sein. Wir wollen einfach eine coole, schwere Classic-Rock-Band sein.“ BOSTON MANOR setzen in jedem Fall Songs, die schon beim ersten Hörern umgarnen und emotional mitnehmen, ihre wahre Größe aber erst mit der Zeit preisgeben:
„Als Band spielen genau das, was wir musikalisch machen wollen“, erwidert Mike. „So einfach ist es, wobei wir alle sehr unterschiedliche Einflüsse und Inspirationen einbringen. Wir haben es dabei aber nie darauf angelegt, anders als andere zu sein. Doch es war uns immer sehr wichtig, uns selbst treu zu bleiben und aufrichtig zu sein. Unserer Erfahrung nach bringt dieser Ansatz immer die beste Art von Kunst hervor. Auf unsere neue Platte sind wir unglaublich stolz, denn sie war seit etwas mehr als vier Jahren in Arbeit.“ Die dem fünften Longplayer von BOSTON MANOR inne wohnende Zuversicht steckt an, und genau so soll es ein: „Wir wollten etwas Lautes und Eindringliches abliefern – voller Haltung und Selbstvertrauen“, beskräftigt Mike zum Schluss. „Viele der Motive und Themen in „Sundiver“ handeln von Liebe, Veränderung und Positivität. Die Welt, in der wir leben, braucht das gerade mehr denn je, fast schon aggressiv. Das kommt in diesen Songs zum Ausdruck. Insbesondere „Ich glaube, dass jeder fähig ist, zu lieben“ ist eine Textzeile, die erklärt, dass wir alle, egal wer wir sind, freundlicher, sanfter und mitfühlender gegenüber allen anderen sein sollten, mit denen wir diesen Planeten teilen.“