Deathcore Top Ten

Ganz egal, um welches Genre es geht: Eine allgemein gültige Top Ten der wichtigsten Bands und Alben gibt es einfach nicht. Die Auswahl ist immer subjektiv – sowohl was die Bands betrifft als auch die Alben, die aufgelistet werden. Natürlich ist die Versuchung groß, sich auf wegweisende Veröffentlichungen zu konzentrieren. Und wann man selbst in ein bestimmtes Genre eintaucht, spielt auch eine Rolle. Spoiler: Chelsea Grin, Oceano, Lorna Shore, War From A Harlots Mouth, Shadow Of Intent, Rings Of Saturn, Enterprise Earth, Mental Cruelty, AngelMaker, Slaughter To Prevail und Bodysnatcher bleiben außen vor. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Konsens zehn mögliche Referenz-Platten des Deathcore:

DESPISED ICON „The Healing Process“ (2005/Century Media)
The Healing Process“ oder „The Ills of Modern Man“ (2007) – welches Album ist besser und war für die Karriere der Kanadier wichtiger? Die Unterschiede sind marginal, beide Platten grandios. DESPISED ICON haben auf ihrem 2005er Zweitwerk erstmals so richtig den furiosen und Blast-getriebenen Stil-Mix adressiert und abgeschmeckt, den man mit ihnen verbindet. Zuvor hatte sich das richtige Line-Up gefunden. Wie bei Cryptopsy und Beneath The Massacre geht es verdammt roh, technisch und komplex durch die Songs. Herausragend sind sowohl das Schlagzeug-Spiel als auch die Gitarren-Arbeit. Aufgrund der eingestreuten Core-Elemente finden DESPISED ICON ein ums andere Mal zu satten Deathcore-Bangern, woran auch das Zusammenspiel der beiden Frontmänner Alex Erian und Steve Marois einen enormen Anteil hat. Obschon am extremen Ende angesiedelt, fallen die Kanadier als gleichsam intensiv und brutal wie belastbar und eingängig auf.

JOB FOR A COWBOY „Doom“ EP (2005/Initiales Eigenrelease/Re-Release Metal Blade)
Nach der initialen Eigenveröffentlichung von „Doom“ und einem stilechten MySpace-Hype half das wie die Band in Arizona beheimate Label King Of The Monsters beim Vertrieb der EP. In der Folge ging es für JOB FOR A COWBOY Schlag auf Schlag. Dem Signing auf Metal Blade folge ein Re-Release von „Doom“ und wenig später der erste Longplayer „Genesis“, auf dem die Gruppe ihren Stil schon wieder adjustierte. Mit den auffälligen „Pig Squeal-Vocals“ und der unbekümmerten Vorgehensweise der Musiker, die erkennbar extrem aufspielen wollten, ist eine EP entstanden, die viele andere Gruppen motivierte, in eine ähnliche Richtung zu gehen. Vom Standpunkt des Songwriting und der handwerklichen Umsetzung her mag „Doom“ aus heutiger Sicht noch unfertig und nicht zu Ende gedacht wirken. Dass JOB FOR A COWBOY einen Nerv getroffen hatten, äußert sich jedoch in der Tatsache, dass man sich an diese EP bis heute als wegweisend erinnert.

ALL SHALL PERISH „The Price Of Existence“ (2006/Nuclear Blast)
Die kalifornische Formation überzeugt auf dieser Scheibe mit einem ausbalancierten Songwriting sowie individueller Spielklasse. Der europäische Death-Einschlag ist stärker ausgeprägt als bei anderen Katalysatoren des Deathcore, die Hardcore-Kante für den Gesamt-Sound aber gleichfalls integral. ALL SHALL PERISH präsentierten sich auf ihrem 2006er Zweitwerk als Gruppe, die mehr als andere Genre-Vertreter mit Melodien und Grooves arbeitete, um die persönlich gefärbten beziehungsweise gesellschaftskritischen Texte des damals neu zur Band gestoßenen Frontmanns Hernan „Eddie“ Hermida (heute auch SUICIDE SILENCE) musikalisch zu spiegeln und so eine andere Stoßrichtung des Deathcore zu entwickeln. Nach dem eher zornig-chaotischen Debüt etablierten sich ALL SHALL PERISH mit „The Price Of Existence“ und dem dahinterstehenden neuen Line-Up alsbald in der Speerspitze des Deathcore. Das Zweitwerk gilt vielen als beste Platte der Gruppe.

BRING ME THE HORIZON „Count Your Blessings“ (2006/Visible Noise)
Das Debüt der Band aus Sheffield ist wohl das wichtigste europäische Album aus den frühen Jahren des Deathcore. „Count Your Blessings“ ist zugleich das einzige Genre-Release von BRING ME THE HORIZON, zeigt dabei aber bereits die vorwärts gerichtete Experimentierfreude, für die die Briten bis heute bekannt sind. Die Songs muten insgesamt spontan und ungeschliffen an, doch genau das macht ihren Reiz aus. Sowohl die extremen als auch die zugänglichen Passagen werden maximal ausgereizt, so dass der Einstand der Gruppe ungemein kontraststark ausfällt. Frontmann Oli Sykes bringt zudem nicht nur eine markant-krasse Stimme mit, sondern hat den Hype um seine Person und sein Aussehen auf MySpace und in der realen Welt sehr clever zum Wohle der Band vermarktet. BRING ME THE HORIZON selbst kokettieren heute nur noch selten mit ihren Anfängen im Deathcore, haben mit „Count Your Blessings“ aber dennoch ein frühes Standardwerk abgeliefert.

SUICIDE SILENCE „The Cleansing“ (2007/Century Media)
Das erste Album der Kalifornier war ein Einstand nach Maß. Die rohe Energie entspringt unter anderem der Tatsache, dass SUICIDE SILENCE „The Cleansing“ komplett live eingespielt haben. Der Longplayer gilt bis heute als eines der meistverkauften Debüts der Geschichte von Century Media und ist gemeinhin als früher Klassiker des Deathcore anerkannt. Die verspielte Gitarrenarbeit stach im damaligen Umfeld ebenso als neuartig und anders heraus wie die heftigen Breakdowns, die schier irrwitzig heftig daherkommen. Ohne die krassen Trademark-Vocals von Mitch Lucker (RIP) wäre es aber wohl nur die halbe Freude. Neben Will Ramos und Oli Sykes gilt Mitch bis heute völlig zu Recht als charismatischster und bester Shouter des Deathcore. Die Radikalität und Konsequenz, mit der sich SUICIDE SILENCE durch ihren Einstand spielen, stellt bis heute ebenfalls eine Blaupause für die Vielseitigkeit und musikalische Vernichtungskraft kompromissloser Genre-Bands dar – inklusive derber Hooklines.

WHITECHAPEL „This Is Exile“ (2008/Metal Blade)

Der düstere Deathcore des Sextetts aus Tennessee fällt allein schon deshalb auf, weil die Band mit drei Gitarristen antritt und die sich daraus bietenden Möglichkeiten konsequent ausnutzt. Die Songs der Gruppe klingen immer komplexer und vielschichtiger als bei vielen anderen. Das Debüt zuvor diente noch der Findungsphase. Der Metal Blade-Einstand von WHITECHAPEL stellte erstmals den Extrem-Sound ins Schaufenster, den man bis heute mit Frontmann Phil Bozeman & Co. verbindet. Im 2008 stark bespielten Wettbewerbsumfeld setzte sich das Zweitwerk der Gruppe mit verdichteter Vehemenz und handwerklicher Finesse vom Gros der Genre-Vertreter ab. „This Is Exile“ klingt nach wie vor zeitgemäß und gnadenlos, was für seine kompositorische Klasse und die Güte der Umsetzung spricht. Das variable Songwriting äußert sich in einem mutigen Wirbeln zwischen Death, Thrash und MetalCore und hat WHITECHAPEL völlig zu Recht als relevanten und innovativen Deathcore-Act etabliert.

THE ACACIA STRAIN „Wormwood“ (2010/Prosthetic)
Frontmann Vincent Bennett hadert mitunter damit, dass THE ACACIA STRAIN vielen als Deathcore-Act gelten. Warum seine Band auffällt, sollte ihm eigentlich egal sein, zumal das 2010er Fünftwerk der Gruppe als Genre-Klassiker anzuführen ist. Die in Massachusetts gestartete und heute in Albany, New York ansässige Formation gewichtet den MetalCore-Einschlag insgesamt höher als den des Death Metal. Gast-Auftritte von Hatebreed’s Jamey Jasta und Bruce LePage von 100 Demons zeugen davon. An der Durchschlagskraft der Tracks und ihrer Deathcore-Assoziation ändert das jedoch nichts. Als Markenzeichen von „Wormwood“ sind vor allem die tief gestimmten Gitarren, martialischen Breakdowns und düsteren Lyrics anzusehen. Gleichfalls gilt: THE ACACIA STRAIN setzen fiese Heavy-Hits, die sich ob ihrer plakativen Zutaten im Kopf festsetzen und durchschlagend wirken. Die Aura der Endzeit-Stimmung ändert daran nichts, sondern verstärkt die rohe, zornige Anlage von „Wormwood“.

THY ART IS MURDER „Hate“ (2012/Halfcut/Re-Release Nuclear Blast)
Mehr als bei anderen kommt bei THY ART IS MURDER immer auch eine gehörige Portion Provokation mit dazu, was perfekt zur plakativen Musikalität der Gruppe passt. Brutale Riffs und Breakdowns, kompromisslose Härte und ebensolches Tempo sowie düstere Endzeit-Texte formen einen in jeder Hinsicht drückenden Deathcore-Sound. „Hate“ hat die Australier international etabliert. Die Musiker aus Sydney stecken niemals zurück, sondern legen auch dann noch nach, wenn man es für unmöglich hält. So wie THY ART IS MURDER auf „Hate“ klang damals niemand sonst. Der Titel ist Programm. Es geht in jeder Hinsicht extrem zu. Die atmosphärischen Elemente des mit Will Putney aufgenommenen Zweitwerks relativieren dessen Radikalität kein Stück. Sie sorgen allein dafür, dass man dieses krasse Deathcore-Martürium durchsteht. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Australier mit „Hate“ auch einen kommerziellen Erfolg landen und viele neue Hörer für die Spielart interessieren konnten.

CARNIFEX „Die Without Hope“ (2014/Nuclear Blast)
Eine Liste der wichtigen Deathcore-Acts ohne CARNIFEX gibt es nicht. Welche Platte man auswählt, ist Geschmacksfrage. „Dead In My Arms“ (2007) käme auch infrage. Das Fünftwerk muss aber ebenfalls als wirkliches Referenz-Album der Gruppe um Shouter Scott Ian Lewis gelten. Die Kalifornier fielen von Beginn an als absichtlich brutal und atmosphärisch-düster auf, haben sich mit der Zeit einen symphonisch gefärbten Extrem-Sound entwickelt, der ihre eigene Interpretation des Deathcore darstellt. „Die Without Hope“ ist als verdichteter Ausgangspunkt des Ansatzes aufzufassen, dem CARNIFEX bis heute nachgehen. Das 2014er Album blieb in Erinnerung, weil die Formation aus San Diego ihr Spiel mutig und vordergründig um symphonische Elemente erweiterte und aus der zuvorigen Szene-Enge befreite. Nachdem die ersten Platten bei Victory erschienen waren, emanzipierten sich CARNIFEX in der Folge immer weiter von der Core-Verortung und etablierten sich als moderner Extrem-Metal-Act.

FIT FOR AN AUTOPSY „Absolute Hope Absolute Hell“ (2015/eOne)
Die aus New Jersey stammenden FIT FOR AN AUTOPSY waren in der Szene schon vor dieser Platte ein Begriff. Der Einstieg von und das erste Album mit Frontmann Joe Badolato hoben die Ostküsten-Band jedoch auf die nächsthöhere Stufe und zementierten ihren Ruf, stilprägend zu sein. Gitarrist Will Putney gilt nicht nur aufgrund von „Absolute Hope Absolute Hell“ als einer der wichtigsten Deathcore-Produzenten, aber sicherlich auch wegen dieser Scheibe. Das Drittwerk der US-Kombo überzeugt mit einer schlüssigen Balance aus vertrackter Forderung und marternder Brutalität sowie düster-atmosphärischer Melodik. Die Musik und die existenziell-kritischen Texte sind als gleichermaßen intensiv und substanzhaltig zu beschreiben. FIT FOR AN AUTOPSY repräsentieren ganzheitlichen Deathcore für Kopf und Bauch. „Absolute Hope Absolute Hell“ markiert das Album, auf dem die US-Formation erstmals so richtig zu ihrem ureigenen Mischungsverhältnis und Spiel fand.