LOWHEAVEN

Die Texte von LOWHEAVEN drehen sich um existenzielle Themen wie Selbstaufgabe und soziale Isolation. Das Quartett aus Toronto legt mit „Ritual Decay“ ein intensives, bitteres Debüt vor, das stilistisch in einem düsteren und kathartischen Mix aus Post-Hardcore, Math- und Alternative-Rock, Screamo, Blackened Noise, Sludge sowie Post-Metal verwurzelt ist.

Gitarrist und Sänger Dan Thomson schätzt die Vielschichtigkeit der Band, die sich nicht auf einen klar umrissenen Stil festlegen lässt und so die unterschiedlichen musikalischen Hintergründe der Mitglieder widerspiegelt: „Es ist lustig, weil wir alle aus verschiedenen musikalischen Ecken kommen“, erklärt er. „Alex (Gitarre) und ich waren lange Zeit in einer lokalen Band namens Sparrows aktiv, während die anderen Mitglieder eigene Projekte verfolgten – teils mit Verbindungen zu Kanada, teils völlig unabhängig. Der kanadische Musikmarkt fühlt sich oft isolierter an als der Rest der Welt. Eine Band kann in Kanada erfolgreich sein und gleichzeitig in den USA, Europa oder Japan unbekannt bleiben. Das ist auch bei LOWHEAVEN bisher der Fall. Wir sind noch keine etablierte Tour-Band in den Staaten, sondern einfach Musiker aus Kanada, die ihr eigenes Ding machen. Zum Glück können wir das auf unsere Weise tun. Und nein – Bryan Adams war nie Mitglied unserer Band.“ „Ritual Decay“ ist ein dynamisches Album, das sich stetig wandelt und verschiedene Interpretationen zulässt: „Gerade im Heavy-Bereich gibt es unzählige Subgenres – bis hin zu Subgenres von Subgenres“, meint Dan. „Genre-Grenzen verlieren zunehmend an Bedeutung, aber auf eine gute Weise. Deafheaven ist für mich das beste Beispiel dafür: Ich könnte sie nur als „heavy“ beschreiben, weil sie gleichzeitig neun verschiedene Genres vereinen, ohne sich auf eines festlegen zu lassen. Das ist großartig. Ich hoffe, unsere Band wird ähnlich wahrgenommen – als ein vielseitiges Konglomerat aus verschiedenen Einflüssen. Wir lieben viele Facetten der Heavy-Musik, aber sind nicht auf eine Richtung beschränkt.“

Zwei Bands haben LOWHEAVEN besonders geprägt – und ihr Einfluss ist auf dem Debüt spürbar: „Cave In sind für mich die beste Band aller Zeiten“, sagt der Frontmann. „Ihr Einfluss in unserer Musik ist unübersehbar und eine große Ehre für mich. Ebenso die Deftones, die jedes Band-Mitglied aus unterschiedlichen Gründen und auf verschiedene Weise verehrt – was sich natürlich in unserem Sound niederschlägt.“ Dennoch sind Vergleiche stets nur momentane Momentaufnahmen – LOWHEAVEN strebt nach einem eigenständigen Sound: „Wir kopieren nichts bewusst, sondern nehmen das, was wir lieben, und formen es zu unserer eigenen Version. Jeder hört etwas anderes heraus – Isis, Deftones oder ganz andere Acts. Diese Vielfalt ist ein riesiges Kompliment für uns.“ Die Musiker aus Toronto sind alle in ihren Mittdreißigern bis späten Dreißigern, dennoch begegnen sie oft jüngeren Fans, die ihre musikalischen Einflüsse nicht kennen. „Unter-25-Jährige sagen manchmal: „Keine Ahnung, wer das ist‘“, erzählt Dan. „Aber das ist doch großartig! Es bedeutet, dass wir unsere Inspiration an eine neue Generation weitergeben können. Musik ist eine endlose Entdeckungsreise, die von einer Band zur nächsten führt. Genau das wollen wir fördern: teilen, zeigen, inspirieren.“

Die Musik von LOWHEAVEN überschreitet Generationen und wurde zum kreativen Neuanfang während einer dunklen Zeit. „Meine frühere Band löste sich während der COVID-Zeit auf – aus Gründen, die außerhalb meiner Kontrolle lagen“, erinnert sich Dan. „Die Pandemie hat das Leben vieler Menschen erschüttert, mich eingeschlossen. LOWHEAVEN entstand, weil viele Musiker ihre Bands nicht fortsetzen konnten, wir aber weitermachen wollten. Eine Sache war neu: Wir hatten plötzlich unglaublich viel Zeit, um Musik zu schreiben – mehr als je zuvor. All die Veränderungen, Herausforderungen und Unsicherheiten flossen in unsere Songs. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass dieser kreative Schub nicht mit so viel Verlust und Chaos verbunden gewesen wäre, aber genau das hat LOWHEAVEN geformt. Unser erstes Album trägt die Spuren dieser Zeit – man kann es hören, man kann es fühlen.“ Der Schreibprozess begann isoliert: „Es gab kein gezieltes Konzept, sondern einen natürlichen Fluss“, sagt Dan. „Anfangs erstellten wir Demos, schickten Ideen hin und her und versuchten herauszufinden, was LOWHEAVEN überhaupt sein sollte. Wir entschieden uns nicht bewusst für einen bestimmten Sound, sondern füllten die Lücke, die das Chaos hinterlassen hatte. Unsere erste richtige Jam-Session kam zustande, als in Kanada die ersten Lockerungen der COVID-Beschränkungen eintraten. Ich weiß nicht, wie es in Europa war, aber hier wechselten die Regeln ständig – erst streng, dann gelockert, dann wieder verschärft. Sobald es möglich war, trafen wir uns, um an einem Song zu arbeiten, der sich am Ende 38 Mal verändert hat und letztlich aufs Album kam.“

Doch anstatt sich von externen Widrigkeiten aufhalten zu lassen, ließen sich LOWHEAVEN von ihnen treiben. „Als die nächste Verschärfung kam, beschlossen wir, den kreativen Prozess einfach fließen zu lassen, statt ihn zu erzwingen“, erklärt Dan. „Wir haben nicht versucht, unsere Band bewusst in eine Richtung zu lenken – wir haben einfach Musik gemacht. Jeder Musiker kennt das Gefühl, in einem kreativen Loch zu stecken. Doch bei uns war es anders: Wir haben den Soundtrack zu den Albträumen dieser Zeit geschaffen. Sobald wir einmal angefangen hatten, wurde es zu einer unaufhaltsamen Kraft. Jeder von uns war voll dabei, und irgendwann hat es „Klick“ gemacht. Wir ließen los, ließen den Flow zu und hörten auf, ein bestimmtes Genre oder Feeling festzulegen – es entstand ganz natürlich.“ Mit „Ritual Decay“ präsentieren LOWHEAVEN ein Album, das gleichermaßen chaotisch und strukturiert, brutal und tiefgründig ausfällt: „Unsere Musik ist eine direkte Reaktion auf das, was passiert ist“, erklärt Frontmann Dan Thomson. „Jeder erlebt Isolation anders – ob allein oder unter Menschen, es gibt immer Momente, die einen auf sich selbst zurückwerfen. Ich bin von Natur aus eher ein Einzelgänger, daher fiel es mir leichter, diese Realität zu akzeptieren. Doch oft fühlten sich die äußeren Umstände an wie herabfallende Steine, während man einfach nur Ruhe finden will. Diese Isolation und die Schwere der Ereignisse haben unsere Musik definitiv geprägt.“

Dass das Debüt erst jetzt erscheint, liegt vor allem an den schwierigen Rahmenbedingungen: „Unser kreativer Prozess begann relativ spät, weil wir zunächst ohne Schlagzeuger arbeiteten – nur zu dritt“, erklärt Dan. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so gut mit digitalen Instrumenten umgehen würde, aber genau das wurde essenziell. In dieser Zeit entstanden sowohl die Songs unserer EP „Collapse“, die wir Anfang 2022 aufnahmen, als auch „Ritual Decay“. Kanada hatte damals noch strikte COVID-Beschränkungen. Während die Studioaufnahmen in New Jersey problemlos liefen, war die Rückkehr nach Kanada wesentlich komplizierter. Als andere Bands ihre ersten Shows nach der Pandemie spielten, konnten wir noch nicht einmal gemeinsam proben. Aber wir hatten es nicht eilig. COVID hat uns gelehrt, dass es besser ist, Dinge richtig zu machen, statt überstürzt zu handeln. Unsere Aufnahmen dauerten mehrere Monate, und wir nahmen uns Zeit, den richtigen Mastering-Ingenieur zu finden – es hat sich absolut gelohnt. Parallel dazu suchten wir nach einem Schlagzeuger und sprachen mit verschiedenen Leuten. Doch statt uns unter Druck zu setzen, wollten wir sicherstellen, dass alles wirklich passt. Jeder kreative Prozess hat seine eigene Dynamik – unserer war geprägt von Geduld, Präzision und dem Wunsch, dass sich alles richtig anfühlt, bevor wir den nächsten Schritt gehen.“

LOWHEAVEN zeigen sich reflektiert und wachsen an ihren Herausforderungen: „Ich mag diese Formulierung – sich der Situation zu stellen“, überlegt Dan. „Kreativität ist immer in uns. Als Musiker kann ich das natürlich nur für mich selbst sagen, aber es ist eine wundervolle Sache, kreativ sein zu können. Natürlich wollten wir unsere Musik so weit wie möglich ausarbeiten. Gleichzeitig wollten wir nicht die typischen Fehler junger Bands machen – Ungeduld, vorschnelles Handeln. Wir hatten keine Ahnung, dass MNRK unser Album veröffentlichen würde. Wir ließen den Dingen einfach ihren Lauf. Uns war wichtig, alles richtig zu machen – Touren erst zu planen und durchzuführen, wenn die Zeit reif war. Rückblickend hat uns diese Geduld enorm geholfen. Als wir „Ritual Decay“ erschufen, dachten wir nicht an einen großen Label-Deal oder daran, schnell ein Album herauszubringen. Aber wenn man als Band wirklich etwas erreichen will, gehört das natürlich dazu.“ Das Album pendelt zwischen brachialer Zerstörung und mitreißender Zugänglichkeit: „In der Heavy-Szene wird „zugänglich“ oft negativ gesehen, aber für mich ist es kein Schimpfwort“, stellt Dan klar. „Das ist eine sehr genrespezifische Sichtweise. Eine Thrash-Metal-Band beschäftigt sich wahrscheinlich nicht so intensiv mit dem Begriff wie wir. Für LOWHEAVEN macht es Sinn, so zu arbeiten. Ich habe kein Problem mit Refrains oder Hooks, solange sie auf unsere Art umgesetzt werden – mit den Elementen, die unsere Musik ausmachen. Die Kombination aus Rohheit, Lautstärke und Härte mit klareren, melodischen Passagen erzeugt eine dynamische Spannung. Genau das verleiht Musik ihre Kraft.“

Dan unterstreicht dies mit konkreten Beispielen: „Nirvanas Formel von leise und laut ist unbestreitbar wirkungsvoll. Es gibt unzählige Wege, dieses Prinzip kreativ umzusetzen – ob gnadenlos hart oder mit eingängigen Passagen. Beide Varianten haben ihre eigene Kraft und verstärken sich gegenseitig. Die Deftones machen es ähnlich: Sie schreiben brutale Riffs, und dann kommt Chino mit seiner unverwechselbaren Stimme und erschafft einen völlig neuen Moment – plötzlich entsteht eine Hook, die alles verbindet. Es funktioniert einfach. Diese Offenheit gegenüber verschiedenen Einflüssen ist für mich essenziell. Es geht nicht darum, in ein festes Genre gepresst zu werden, sondern darum, Elemente auf eigene Weise zu interpretieren. Wir müssen keine Stoner-Rock-Band sein, um einen Stoner-Rock-Part zu spielen – wir können unsere eigene Version davon erschaffen. Gute Hooks sind nichts Schlechtes. Wenn eine Band sagt: „Wir haben eine verdammt gute Hook“ – dann bringt sie raus! Genau deshalb sind die Goo Goo Dolls so großartig – jeder ihrer Songs ist ein Hit, weil sie auf starke Melodien setzen, ohne an Tiefe zu verlieren. Und das ist etwas, das ich absolut respektiere.“

lowheaven | Facebook

Photo credit: Fabiana Moreira