MISFIRE

Thrash mit markanten Riffs, reichlich Groove und einem gepflegten Crossover-Anstrich – das ist es, was MISFIRE auf ihrem Zweitwerk „Product Of The Environment“ bieten. Das Quartett aus Chicago präsentiert sich personell runderneuert und in seinem Songwriting gnadenlos überzeugend.

Die 2019 gegründete Gruppe musste sich in ihrer bisherigen Zeit nicht nur mit einer Pandemie auseinandersetzen, sondern dabei auch den Verlust fast der kompletten Bandbesetzung kompensieren. „Für uns hatte diese Phase keine Nachteile“, erklärt Band-Gründer und Schlagzeuger James Nicademus im Gespräch. „Es hat uns sogar das Schreiben erleichtert, weil wir in einer Zeit angefangen haben, als alles zum Stillstand kam und jeder viel Zeit hatte. Einige der Songs auf dem neuen Album sind tatsächlich in dieser Phase entstanden. Weniger schön war jedoch, dass es in dieser Zeit zu viel freie Stunden gab, in denen sich einige Mitglieder der ursprünglichen Besetzung ein bisschen zu sehr auf bestimmte Substanzen eingelassen haben. Das war einer der Gründe für die Besetzungswechsel in der Band. Wir haben die Zeit aber auch genutzt, um uns mit Social Media und solchen Dingen zu beschäftigen, ohne die es heute nicht mehr geht. Rückblickend kam alles unerwartet und war auch für uns eine riesige Herausforderung, die uns letztendlich aber besser gemacht und feiner abgestimmt hat. Den Verlust eines Sängers zu verkraften, machte die Situation noch turbulenter, aber wir haben es überstanden. Wie wir in einem unserer Songs singen – wir sind durch die Hölle gegangen.“

Das neue Album zeigt auf, dass die unsteten Zeiten hinter der Band liegen und sich die Musiker nun vollends auf ihre Entwicklung konzentrieren. Von einem Neustart spricht James allerdings nicht: „„Sympathy For The Ignorant“ wurde ursprünglich als Demo aufgenommen und war eigentlich gar nicht als unser Debüt geplant. Doch ich hatte einen guten Freund engagiert, der ein großartiger Tontechniker ist. Er hat es abgemischt, und am Ende klang es wie ein Album und nicht wie ein Demo. Also haben wir es veröffentlicht und sind sehr stolz auf diese Platte. Das neue Material ist nun aber ein völlig anderes Kaliber – ein kompletter Schritt in die richtige Richtung. Zudem repräsentiert es drei neue Musiker, für die es ihre erste Veröffentlichung mit MISFIRE ist. Dass es ein kompletter Neustart ist, möchte ich jedoch nicht sagen, denn es hat immer noch die gleiche Energie und den gleichen Charakter wie das erste Album. Vielleicht kann man es gut als eine Weiterentwicklung derselben Idee mit neuen Leuten bezeichnen.“ Frontmann Tim Jensen ergänzt:

„Wenn drei neue Leute hinzustoßen, verändert sich eine Band automatisch, aber das Ziel kann dabei dasselbe bleiben. Spielerisch hat sich nicht viel geändert, zumal wir ohnehin nur das tun, was uns Spaß macht.“ Liest man sich die Reviews zum Debüt von MISFIRE durch, fallen verkürzt die Meinungen auf, dass es sich entweder um Oldschool-Thrash oder Thrash mit starkem Crossover-Einschlag handelt. Wer das Zweitwerk hört, erkennt Ähnlichkeiten zu Power Trip und Enforced und tendiert unweigerlich zur zweiten Ansicht: „Da stimme ich dir voll und ganz zu“, meint Schlagzeuger James. „Persönlich habe ich, wie jeder in der Band, auch progressive Einflüsse, denn wir alle hören mehr als nur Thrash. Doch Thrash ist einfach das, was wir gut schreiben können, und er fließt bei uns ganz natürlich. Weil wir alle Arten von Musik mögen, fließen bei uns aber ständig verschiedene Elemente ein. Schließlich nimmt man das, was man hört, auf und verarbeitet es irgendwann unbewusst auf die eine oder andere Weise beim eigenen Schreiben. Bei mir funktioniert das jedenfalls so, und deshalb klingt unsere Musik wie eine Mischung verschiedener Gruppen – eben so, wie wir inspiriert sind. Power Trip sind eine großartige Band, genauso wie die Crossover-Band DRI. Solche Sachen liebe ich. Davon hört man einiges in unseren Songs, und das ist mir wichtig, denn es muss Teile in unseren Stücken geben, bei denen man sich bewegen will. Bei unserer Art von Musik ist das enorm wichtig.“

Investitionen in die eigene Band

Das Live-Erlebnis ist dem Quartett aus Chicago erkennbar wichtig, und das beginnt bereits beim Songwriting. „Neben MISFIRE bin ich als Beleuchtungsregisseur für andere Bands tätig“, verrät James. „Deshalb denke ich immer bis zum Ende und an unsere Auftritte, wenn ich mit einem Riff anfange. Habe ich ein starkes Riff gefunden, grüble ich über die Drums und den Bass, denke aber auch an die Beleuchtung und den Klang – eben an alle Facetten. Für mich ist das ein wichtiger Teil, sobald ich ein Riff habe. An diesen Überlegungen erkenne ich, ob ein Riff gut ist oder nicht. Wenn ich mir nicht direkt auch den Rest durchdenke, dann fehlt noch etwas.“ Hinsichtlich ihrer Shows können MISFIRE jedoch noch nicht alles umsetzen, was sie sich wünschen würden. „Dafür fehlt uns leider noch das Budget“, räumt der Schlagzeuger ein. „Es hängt also immer davon ab, was der Veranstaltungsort bietet. Tims Energie und die der anderen Jungs vorne – meistens liegt es an ihnen, das Publikum mitzureißen. Die ausgefallenen Sachen fügen wir sicherlich eines Tages hinzu, wenn das Budget dafür da ist.“ Frontmann Tim ist sich der Erwartungshaltung bewusst:

„Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist es, ein unterhaltsamer Frontmann zu sein, nicht stillzustehen und mit jedem Zuhörer des Publikums in Kontakt zu treten, mit dem ich Augenkontakt herstellen kann“, fasst der Sänger seine Rolle zusammen. „Eine gute Lichtshow und all das liebe ich ebenfalls, aber meine Aufgabe ist es, uns auch ohne solche Unterstützung bestmöglich zu präsentieren. Wenn ich sehe, dass jemand mit mir interagiert und das Publikum mit mir ist, dann habe ich meinen Job gut gemacht. Das macht für mich eine gute Show aus.“ Band-Gründer James sieht es pragmatisch und blickt voraus: „Mit einer Band ist es nichts anderes als mit einem Unternehmen, das man neu gründet. Anfangs verdient man meistens kein Geld, muss aber investieren, um die Sache ins Laufen zu bringen. So heißt es jedenfalls, und das ist ungefähr unsere Situation. Nur investieren wir in uns selbst – mit langfristiger Perspektive, weil wir nicht vorhaben, nach dem dritten oder vierten Album aufzuhören. Was wir tun, wollen wir noch lange machen. Aktuell ist es für eine Band unserer Größe extrem schwierig zu überleben, aber wir wissen, was wir wollen. Wir sind wirklich hungrig und werden nicht wie viele andere Bands scheitern. Wir halten den Druck aus und wissen, worauf wir uns einstellen müssen. Wenn man als Band 500 Dollar pro Abend verdient, ist man noch nicht kostendeckend. Selbst wenn man zusätzlich Merchandise verkauft, deckt man wahrscheinlich nicht einmal seine eigenen Kosten. Verdient man 1.000 Dollar, will man direkt einen Tontechniker, Beleuchter oder Merchandise-Mitarbeiter bezahlen. Und selbst wenn sich die Einnahmen erhöhen, wird alles andere, was dazukommt, das aufzehren. Das ist ein Spiel, das man lernen muss. Man wird es wohl nie lieben, aber man muss lernen, sich damit zu arrangieren.“

Keine andere Wahl

Die Leidenschaft und der Glaube an den eigenen Erfolg sind James und Tim deutlich anzusehen. „Product Of The Environment“ beflügelt sie: „Dies ist unser erstes gemeinsames Statement als Band mit Tim, Dan (Bass) und Kosta (Gitarre)“, erklärt der Schlagzeuger. „Für diese MISFIRE-Besetzung ist es das erste Album – eine viel besser abgestimmte Version unserer Idee mit großartigen Leuten, die hierher gehören und hier sein wollen.“ Auch die Gast-Features von Rob Cavestany (Death Angel) und Rob Dukes (Exodus) zeugen davon, dass der Chicago-Vierer Thrash mit Haut und Haaren lebt. „Unser Gitarrist Kostadin Kostadinov stammt ursprünglich aus Mazedonien, einem Land in Osteuropa, das in der Nähe von Griechenland liegt“, berichtet Frontmann Tim. „Vor einigen Jahren, als Kosta etwa 16 Jahre alt war, kam Exodus für eine Show nach Mazedonien. Für ihn war das eine riesige Sache. Bei dieser Show traf er tatsächlich Rob Dukes, den damaligen Sänger von Exodus. Er ließ sich mit ihm fotografieren und so weiter. Zehn Jahre später zieht Kosta nach Amerika, tritt MISFIRE bei und spielt mit uns auf dem Milwaukee Metal Fest, wo Rob Dukes zufällig anwesend war. Er hat Kosta sofort wiedererkannt, sie tauschten ihre Kontaktdaten aus und sind seitdem in Kontakt – ja, sogar Freunde geworden. Mit seinem Gast-Feature hat er uns wirklich einen großen Gefallen getan.“ Auch das Death Angel-Feature kam durch gute Beziehungen zustande.

„Unsere Management-Firma arbeitet auch mit Testament, Death Angel, Prong und ein paar weiteren großen Bands“, berichtet Schlagzeuger James. „So hat sich das ergeben. Wir brauchten ein Solo, und Rob hat es gemacht. Es ist der Wahnsinn. Ich kann kaum in Worte fassen, wie geehrt ich mich fühle.“ James ist dem Thrash verfallen: „Ich hatte keine andere Wahl“, lacht er. „Das ist alles, was ich kann und spielen will. Einen anderen Musikstil könnte ich gar nicht schreiben, denn ich bin mit Metallica, Megadeth, Slayer und all den anderen aufgewachsen. Das ist ein Teil von mir und von dem, was ich bin. Wir wollen aber nicht altbacken klingen und nur das machen, was andere schon vor uns getan haben. Natürlich muss man die Leute ehren, die diesen Stil geprägt haben, aber das tue ich, ohne darüber nachzudenken. Ich höre so viel von dieser Musik, dass es automatisch passiert. Der eigentliche Denkprozess setzt dann an, wie wir es nach 2025 klingen lassen können. Das ist einer der Gründe, warum dieses Album besser als das erste ist. Wir haben uns viel intensiver mit solchen Fragen auseinandergesetzt.“

Das Publikum wird MISFIRE ganz von selbst finden, denn ihr unterhaltsames, Groove-betontes Spiel zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Sänger Tim gibt sich entspannt und vertraut auf das Genre an sich: „Was mir gefällt, ist, dass es immer Fans zu geben scheint – besonders auch neue, junge Fans, die dieses Musikgenre gerade erst für sich entdecken. Für mich fühlt es sich an, als wäre ich erst gestern ein Teenager gewesen, der in den Thrash Metal hineingestolpert ist. Doch jetzt sehe ich viele jüngere Kids, die mich an mein jüngeres Ich erinnern, in unserem Publikum. Thrash ist ein aufregendes Musikgenre, in dem immer etwas los ist.“

MISFIRE – official