NEAERA

Die Liste der erfolgreichen Comebacks wird immer länger. Nach Despised Icon und Beneath The Massacre haben auch NEAERA über vermeintlich exklusive Shows den Weg zu neuen Band-Aktivitäten gefunden. Auf ihrem selbstbetitelten Album vertrauen die Münsteraner MeloDeathCore-Recken konsequent auf ihren Trademark-Sound und fahren damit denkbar gut.

Auf die erste Band-Phase zwischen 2003 und 2015 schaut Gitarrist Tobias Buck mit gemischten Gefühlen zurück. Ob NEAERA die ihnen „eigentlich zustehende Aufmerksamkeit“ erst nach oder durch das zwischenzeitliche Aus erlangt haben, kann er nicht eindeutig greifen: „Das würde ich mit Jein beantworten. Es war ja so, dass wir unsere letzte Platte „Ours Is The Storm“ schon 2013 herausgebracht, dann aber bis Ende 2015 Shows gespielt haben. Wir wollten damals wissen, ob wir noch einen kleinen Sprung machen können oder ob es auf demselben Level wie davor bleiben würde. Letztlich hat sich alles nicht in die Richtung entwickelt, die wir gerne gesehen hätten. Das hat dann dazu geführt, dass wir diesen Cut gemacht haben, um uns auf andere Sachen in unseren Leben zu konzentrieren. Die Konzerte, die wir zwischen Weihnachten und Neujahr 2015 gespielt haben, waren für uns ein stimmiger Abschluss. Das Interesse an uns ist danach aber nie wirklich abgerissen. Wir sind immer wieder von den unterschiedlichsten Leuten gefragt worden, ob wir nicht doch wieder etwas machen wollten. Die Fans haben sowieso gefordert, dass wir zurückkommen sollen. Dass das Interesse immer da gewesen ist, hat uns gefreut. Die Motivation bei uns kam aber erst 2018 zurück, als wir das Angebot bekamen und angenommen haben, die Impericon Festival-Shows zu spielen. Davor haben wir uns intern besprochen, ob auch wirklich jeder Lust dazu hat und haben das auch nur als einmalige Sache betrachtet. Deshalb sind wir das ohne Erwartungshaltung angegangen und wollten einfach schauen, was es wird. Das hat dann aber schon Bock gemacht, so dass wir uns recht bald entschieden haben, es zu wiederholen. Es stand aber noch lange nicht im Raum, wieder eine neue Platte zu schreiben. Aus Spaß wollten wir lediglich ausgewählte Konzerte spielen, um aus dem Alltag mit Jobs und Familien kurzzeitig rauszukommen. Das Echo hat uns hinsichtlich seiner Intensität auf den Konzerten und im Social Media-Bereich dann aber doch umgehauen, besonders vor und nach dem Vainstream hier in Münster. Dadurch haben wir immer mehr Bock bekommen und wieder mehr Zeit investiert.“

Im Statement zu ihrer Auflösung 2015 hatten NEAERA noch geschrieben, dass es besser sei, abzutreten, bevor die Band ein Schatten ihrer selbst sei: „Das hatte verschiedene Gründe“, versucht sich Tobias an einer nachträglichen Einordnung. „Einer war zum Beispiel, dass wir miteinander nicht mehr so an einem Strang gezogen haben, weil jeder von uns etwas anderes wollte. Man kann es sicherlich auch ganz platt auf Ermüdungserscheinungen zurückführen. Es war uns klar, dass wir es so, wie wir es bis dahin betrieben haben, nicht weitermachen konnten. Da muss man dann auch so ehrlich zu sich selbst sein und die Konsequenzen ziehen. Ob man das nun Auflösung, Cut oder sonstwie nennt, ist egal. Das Ergebnis war, dass wir unser gemeinsames Kapitel an dieser Stelle beendet haben und jeder seinen eigenen Weg ins Leben gegangen ist. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich damals froh darüber gewesen bin, dass es vorbei war. Zusammen mit meiner Frau habe ich in Münster ein veganes Restaurant eröffnet und mich darauf voll konzentriert. Das hätte die Zeit für die Band ohnehin beschnitten. Die selbstverordnete Zwangspause kam quasi zum richtigen Zeitpunkt.“

Sechs Platten in neun Jahren, die von unermüdlichen Tour-Aktivitäten flankiert waren, sind Beleg einer beachtlichen Arbeitsintensität, die mutmaßlich zu den angerissenen Abnutzungserscheinungen geführt haben: „Das ist rückblickend schwierig zu beurteilen“, relativiert der Gitarrist. „Das hat ja auch viel damit zu tun gehabt, dass wir so viel Spaß hatten. Deshalb waren wir so aktiv. Es ist doch toll, wenn man Anklang findet, die Konzerte gut besucht sind und man alle Festivals – die großen wie die kleinen – spielen darf. Es war wirklich vor allem der Spaß, der uns angetrieben hat. Ab einem gewissen Punkt in unseren Leben, das werden viele andere Musiker nachvollziehen, mussten wir dann aber auch privat an unsere Zukunft denken und das planen. Die Band stellt nun einmal nicht die Brötchen auf den Tisch. Deshalb konnten wir so nicht ewig weitermachen. Dazu kam, dass die Erwartungshaltungen innerhalb der Band zu unterschiedlich waren. Irgendwie hat es irgendwann dann keinen Sinn mehr gemacht. Deswegen war der Cut so wichtig.“

Ihr Comeback gehen NEAERA ungezwungen und erwartungsfroh an: „Wir haben uns entschieden, erstmal das Album zu veröffentlichen und dann einige Festivals zu spielen“, erzählt Tobias. „Wir wollen schauen, was sich daraus entwickelt. Abhängig von den Angeboten, die an uns herangetragen werden, werden wir von Fall zu Fall entscheiden, was wir annahmen und was nicht. Das wird sich danach richten, wie viel Zeit wir haben und ob wir auf die Sachen wirklich Bock haben. In der Vergangenheit haben wir uns immer gegenseitig unter Druck gesetzt, um möglichst viel mitzunehmen. Für jede Platte wollten wir coole Touren und dies und das. Dieses Mal ist es zum ersten Mal so, dass Musik und Band nicht unser Lebensmittelpunkt sind. Sie sind uns natürlich wichtig, doch es dreht sich nicht mehr alles nur darum. Wir werden versuchen, alles unter einen Hut zu bringen, doch es gibt Grenzen.“

Sich allein auf die Songs der ersten sechs Alben zu beschränken, kam für den Musiker nicht infrage: „Da kann ich jetzt aber nur meine persönliche Meinung widergeben, die nicht zwingend die der kompletten Band sein muss. Für mich war aber schon nach den Impericon Festivals der Spaß zurück und mir war klar, dass ich das wieder öfter erleben möchte. Dass dann aber nur mit altem Material zu bestreiten, wäre mir zu wenig gewesen. Wenn schon wieder aktiv, dann muss auch etwas Neues kommen. Also habe ich mich zunächst hingesetzt und geschaut, ob ich überhaupt noch Ideen für neue Songs habe. Das floss dann direkt aus mir heraus. Die Stücke des neuen Albums sind dann über den Zeitraum eines Jahres entstanden. Ich hätte es doof gefunden, beim Status-quo stehen zu bleiben und nur hier und da altes Material zu spielen. Für eine Mini-Tour und Festival-Auftritte hätte das sicherlich gereicht, doch ich persönlich finde es wichtig, den Leuten mehr zu bieten. Wäre das Ergebnis des Songwriting-Prozesses nicht gut gewesen, hätten wir es uns vielleicht anders überlegt. Doch zum Glück ist es anders gekommen. Für mich ist das eine Philosophiefrage. Ich bin der Ansicht, dass man neues Material braucht, wenn man nach einer Auflösung wieder zurückkommt.“

Nichtdestotrotz geht Tobias nicht davon aus, dass NEAERA ihren früheren Ein-Jahres-Rhythmus wieder aufgreifen: „Damals waren wir noch jung, auch wenn wir das nicht getan haben, weil wir Druck hatten oder so. Man kann ja nichts fertigstellen und veröffentlichen, wenn man keine Ideen hat. An Ideen hat es uns nie gemangelt. Wir haben uns sogar immer darüber gefreut, bei den Proben nicht immer nur alte Tracks spielen zu müssen, sondern schnell wieder neues Material zu haben. Und dann wollten wir auch schon wieder auf Tour. Wir haben nie gesagt, dass wir das alles tun müssen, sondern wir wollten es. Was für mich immer auch mit dazu gehört, sind die Überlegung und Entscheidung, wo man aufnehmen will und wo Mixen und Mastering stattfinden sollen. Ab Song x, den man für ein Album schreibt, ist dann ja auch immer ein gewisser Druck da, weil man bis zum Studio-Termin fertig sein und die Zeit dort optimal nutzen will.“

Die Arbeit und die Entscheidungen hinsichtlich der Comeback-Platte sind der MeloDeathCore-Kombo leichtgefallen: „Wir konnten ja ganz entspannt an die Arbeit gehen“, so der Gitarrist. „Früher habe ich zusammen mit Stefan (Keller – Gitarre) und Sebastian (Heldt – Schlagzeut) gemeinsam im Proberaum gearbeitet. Diesmal war das gar nicht möglich, da wir nicht mehr alle in Münster leben und das zu zeitintensiv wäre. An meinen freien Tagen bin ich dann immer zu unserem Produzenten Tristan Hachmeister nach Osnabrück gefahren, weil ich mit dem Drums-Programmieren doch nicht so vertraut bin. Dort haben wir die Ideen gesammelt und ansatzweise Drums gebastelt, so dass wir recht schnell eine Idee davon hatten, wohin die Reise geht. Das hat so gut funktioniert, dass wir dann irgendwann so weit waren, zu überlegen, wo wir aufnehmen wollen und wo Mixing und Mastering stattfinden sollen. Ab einem gewissen Punkt gab es kein Zurück mehr, doch alles lief sehr entspannt und flüssig ab.“

Über die Auszeit ist Tobias wieder Fan geworden, der mit der entsprechenden Perspektive auch an NEAERA herangeht: „Für mich stimmt das auf jeden Fall“, bestätigt er. „Ich hatte eine Zeit, in der ich gar nicht mehr so viel mit Metal und MetalCore zu tun haben wollte. Das war eine Phase, in der ich damit nicht mehr viel anfangen konnte und in der mich das alles einfach nicht mehr interessiert hat. Mir war egal, wer oder ob jemand eine neue Platte rausbringt oder nicht, wo ich früher aufgeregt und gespannt gewesen wäre. Die Lust ist bei mir erst vor ein paar Jahren wieder zurückgekehrt. Ich habe angefangen, neue Bands und alte Klassiker neu zu entdecken. Das hat auch damit zu tun, dass ich begonnen habe, Vinyl zu sammeln. Das war dann wieder mehr so eine Fan-Perspektive und das auch bezogen auf unsere Band. Ich persönlich finde, dass man das der Platte auch anhört. Wir haben nicht versucht, das Rad neu zu erfinden oder besonders innovativ zu sein. Es ging einfach nur darum, coole Songs zu schreiben, die live super funktionieren und mit denen wir Spaß haben werden.“

Nach Gruppen befragt, die in während des Schreibprozesses begeistert oder beeinflusst haben, nennt der Gitarrist: „Knocked Loose finde ich ziemlich geil, weil die so ein Ende der 1990er Jahre-Hardcore-MetalCore-Ding wieder nach vorne gebracht haben. Das sieht man auch daran, mit welchen Bands sie touren und was sie in ihren Interviews erzählen. Aber auch Hardcore-Bands wie Trail Of Lies, eine Straight Edge-Band aus Syracuse, ist super, weil die so etwas Rohes zurückbringen und trotzdem fett klingen. Sie besitzen diese Aggressivität, die bei vielen Bands auf der Strecke geblieben ist. Es gab eine Zeit, in der etliche Bands versucht haben, poppiger zu werden, was für mich vieles kaputtgemacht hat. Das klang nicht mehr böse oder aggressiv, was diese Musik für mich aber sein muss. Ich habe versucht, den Spirit des MetalCore von Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre mit einzufangen. Dieses Ungestüme, ohne, dass es altbacken klingt. Es soll und muss ja auch ins Jahr 2020 hineinpassen. Der Black Metal ist auch immer eine Inspiration, wenn es etwa darum geht, Atmosphäre zu transportieren. Doch auch Bands wie All Out War sind nach wie vor geil. Das ist für mich nach wie vor ein großer Einfluss, wie auch Day Of Suffering und At The Gates. Aktuell feiere ich zudem Gatecreeper richtig ab.“

Für ihre zweite Band-Phase wissen NEAERA, worauf sie sich einlassen: „Wir betrachten viele Sachen heute nüchterner“, stellt Tobias klar. „Früher dachten wir immer, dass, wenn wir dieses oder jenes tun, wir den nächsten Schritt machen würden. Ist das dann nicht eingetreten, waren wir enttäuscht. Das haben wir heute gar nicht mehr. Wir finden die neue Platte gut. Wenn sie den Leuten gefällt, super. Gefällt sie ihnen nicht, haben wir am Ende des Tages für uns trotzdem diese Platte gemacht. Wir gehen alles viel entspannter an. Die Handvoll Konzerte, die wir bis jetzt gespielt haben, haben uns gezeigt, dass die Leute uns immer noch sehen wollen und dass wir Spaß haben. Das hat uns enormen Rückenwind gegeben.“

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