NORMA JEAN

Eins ist gewiss: keine zwei Alben von NORMA JEAN klingen gleich. Der Sound der Gruppe aus Georgia ist auf „All Hail“ neuerlich einer beständigen Um- bzw. Neudeutung unterworfen. Das liegt an der von jeher breiten Stil-Basis zwischen Chaos/Mathrock, Noise, Sludge, MetalCore und Post-Rock sowie der ruhelosen Ungeduld der Kernbesetzung, aber auch an regelmäßigen Wechseln im Line-Up.

„Es ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, mir neue Dinge einfallen zu lassen, die wir in unsere Songs integrieren können“, äußert Cory Brandan, der seit 2004 Frontmann von NORMA JEAN ist. „Auch die anderen Musiker in unserem Kollektiv arbeiten daran mit. Wir versuchen bei jeder Platte, uns mindestens ein neues Element auszudenken, das wir neu hinzufügen können. Neue Wege zu finden, ohne das Gelernte zu vergessen, hält für uns die Spannung hoch. Die Art und Weise, wie wir Songs schreiben, ist für mich eine süß-saure Mischung. Wir nehmen ein wenig von früher und fügen etwas Neues hinzu, das die Zukunft repräsentiert. Die organische Komponente verdichtet die Dinge dann und bringt sie auf den Punkt. Am Ende hatte ich nach jedem Album das Gefühl, die Lieder hätten sich von selbst geschrieben. Wann immer wir einen Punkt erreichen, an dem wir uns festfahren und es zwanghaft wird, unterbrechen wir und setzen die Arbeit erst dann fort, wenn die Anspannung gelockert ist.“

Die Stücke des achten Albums wirken vor allem düster, brachial und Kraft raubend. Cory hat auch eher über die Grundhaltung von NORMA JEAN zum kreativen Arbeiten gesprochen: „Ich halte mich an die Regel, dass, wenn uns kreative Probleme begegnen, wir uns einen Freiraum schaffen müssen, anstatt noch härter zu arbeiten. Man darf der negativen Energie und Stimmung nicht die Oberhand zugestehen. Oftmals ist weniger wirklich mehr. In unseren Stücken achten wir auf die Kontraste und kämpfen beim Mixen und Mastern für den Erhalt einer maximalen Dynamik. Passt man nicht auf, kann der dynamische Aspekt im Mastering verloren gehen. Auf „All Hail“ haben wir zum Glück eine Menge davon. Irgendwie sickert sie durch das ganze Album und mündet am Ende in einem fast völlig anderen Klang.“ Lyrisch erzählt die Platte eine Geschichte, der NORMA JEAN auch klanglich folgen:

„Wir haben intensiv damit experimentiert, die Emotionen der Geschichte in Sounds zu übersetzen und umgekehrt“, so der Frontmann. „Am Ende des Tages wollen wir, dass die Songs unterhalten. Die Art und Weise unseres Songwritings folgt aber keinem Marketing-Kalkül. Wenn das der Fall wäre, würde ich Pop-Songs schreiben. Was zur Hölle mache ich mit meinem Leben eigentlich?“ Keine Bange, Cory Brandan ist mit seiner Band und ihrem Sound im Reinen: „Ich versuche, mir ein Gefühl von Ehrfurcht vor dem, was wir tun, zu bewahren und will nie wieder an einen Punkt gelangen, an dem es sich wie Arbeit anfühlt. Man muss das Gute mit dem Schlechten verbinden. Nicht jeder kann der beste Tag deines Lebens sein und damit muss man umzugehen wissen. Die Musik schreiben wir zunächst für uns selbst, aber implizit auch für jeden, der eine Verbindung zu ihr aufbaut und sie versteht. Wenn die Songs allein für uns wären, bräuchten wir sie ja nicht zu veröffentlichen. Da wir für die Band viele Unwägbarkeiten in Kauf nehmen und häufig von zu Hause weg sind, müssen wir das, was wir tun, ernst meinen, und das tun wir.“

Worauf es besonders ankommt, weiß der Musiker ohne zu Zögern zu benennen: „Die Rhythmen stelle ich über alles andere. Entscheidend ist, wie die Strukturen der Stücke, die Melodien und die Atmosphäre als Ganzes miteinander interagieren und zusammenspielen. Alle meine Songs weisen einen gemeinsamen rhythmischen Fluss auf, da ich mich zu diesem hingezogen fühle. So etwas suche ich auch bei anderen Künstlern. Alben, die mich in jüngster Zeit wirklich überrascht haben, sind die von Don Broco und Bring Me The Horizon gewesen. Sie haben mich dazu veranlasst, einen entspannteren Zugang zur Musik zu entwickeln. Einem bestimmten Genre fühle ich mich nicht verpflichtet. Es freut mich, zu hören, dass andere Bands es ebenfalls nicht sind.“ Den achten Longplayer von NORMA JEAN ordnet der Shouter wie folgt ein:

„Für mich klingt „All Hail“ nach dem nächsten Kapitel unserer Karriere. Es ist ein Schritt nach vorne, weist aber auch vertraute Elemente auf. Das Wichtige für uns ist, wie wir über jedes einzelne Stück, das wir kreieren, denken. Egal, wie es klingt und welchem Stil es folgt. Wir wollen, dass jeder Song etwas Interessantes und Besonderes aufweist. Lückenfüller wollen wir nicht. Der beste Weg für mich, dass sicher zu stellen, ist, gelegentlich einen Schritt zurück zu treten und von außen zuzuhören. Dann erkennt man schnell, wann das Gefühl stimmt und wann nicht. Als Musiker musst du auch dazu in der Lage sein, deine Songs zu töten. Es geht darum, zu wissen, wann man etwas opfern muss, um dem Gesamtbild eines Albums zu dienen und gerecht zu werden.“ Das bedeutet jedoch nicht, dass NORMA JEAN mit Planung und Übersicht arbeiten:

„Bei uns geht es mitunter ziemlich chaotisch zu, aber letztlich kommt immer alles fristgerecht zusammen“, gesteht Cory Brandan. „Unsere Tracks sind eigentlich nie wirklich abgeschlossen, so lange sie noch nicht aufgenommen sind. Ein Album umzusetzen, erfordert eher die Entscheidung, einen bestimmten Status abzubilden, als dass wir die Dinge wirklich als erledigt ansehen. Immer wieder gibt es Lieder, die eine so tiefreichende Bedeutung innehaben, dass ein einziger Song dafür nie auch nur ansatzweise genug sein kann. In der Musik geht es für mich darum, zu erkennen und zu akzeptieren, dass es immer noch mehr zu lernen gibt und man nie über Zweifel erhaben ist.“

www.normajeannoise.com