PRIMAL AGE

Das Erscheinen von „Masked Enemy“ ist der Ausdruck eines unbändigen Willens und Ergebnis einer schieren Kraftanstrengung. Selbstverständlich ist es nicht, denn PRIMAL AGE standen zwischenzeitlich wieder einmal vor dem Aus. Das französische Quintett hat sich durchgebissen und punktet abermals mit seinem Vegan-Straight Edge-MetalCore zwischen brachialen Breakdowns, satten Mosh-Parts, obligatorischem Slayer-Riffing und animierenden Crew-Shout-Outs.

Bassist xDimitrix äußert im Gespräch zunächst Verständnis dafür, dass vielen Hörern der Kontakt mit PRIMAL AGE zunächst schwerfällt und bestätigt, dass sich dieser Umstand durch die gesamte Karriere der Gruppe seit ihrer Gründung im Jahr 1993 zieht: „Als wir jung waren und zu Konzerten gingen, war es anfangs auch nur wegen der Musik“, holt der Musiker, der teilweise auch Vocals und alle Texte verantwortet, aus. „Es dauerte eine Weile, bis wir die Botschaften der Bands, die wir hörten, verstanden und uns mit ihnen eingehend beschäftigten. Vielleicht war unsere Einstellung zu Zeiten der Gründung unserer Band noch stärker ausgeprägt. Doch wir haben schnell eingesehen, dass wir unsere Botschaften anders verpacken mussten, um sie zu vermitteln. In den letzten zehn bis 15 Jahren haben wir dann aber mehr und mehr Leute kennen gelernt, die daran interessiert sind, sich mit unseren Ideen und Gedanken auseinander zu setzen und nach den Shows immer öfter mit Leuten diskutiert. Wenn du uns hörst, um Informationen über den veganen Lebensstil oder Straight Edge – das sind bei uns inzwischen aber nur noch drei Mitglieder – zu bekommen, ist das großartig. Wenn du nur wegen der Musik kommst und eine gute Zeit haben willst, bist du aber auch willkommen. Es hat seine Zeit gebraucht, aber die Evolution des Bewusstseins ist auf einem guten Weg. Wir bleiben zuversichtlich.“

Die Franzosen haben ja auch viel erlebt – etwa die Hochzeiten der europäischen Vegan-Straight Edge-MetalCore-Szene mit Gruppen wie Liar, Congress und Arkangel, den Hype um US-Vertreter wie Earth Crisis, Morning Again, etc. und natürlich die Entwicklung des Metal-Hardcore an sich mit all den Befindlichkeiten in den involvierten Szenen: „Auf den Plakaten hat man uns als Hardcore, Metal, MetalCore, Thrash, Hardcore Metal, Edge Metal und sogar Brutal Death angepriesen“, erzählt xDimitrix. „Mir ist es egal. Manchmal bringt uns das sogar zum Schmunzeln. Seit vielen Jahren mischen wir unsere Einflüsse, um unsere eigene Identität herzustellen. Wir spielen die Musik, die wir machen wollen, egal, was gerade in Mode ist. Für die Hardcore-Kids sind wir eine Metal-Band und für die Metal-Kids sind wir Hardcore. Also könnt ihr es euch aussuchen, mit welchem Aufkleber ihr uns versehen wollt. Auf der einen Seite ist Metal, auf der anderen Hardcore. Heute ist es für uns aber sicherlich einfacher, bei Metal-Gigs zu spielen, als im Hardcore-Umfeld aufzutreten.“

Die Franzosen reflektieren ihren Werdegang durchaus kritisch, in jedem Fall abgeklärt und nachvollziehbar: „Wir sind sehr glücklich und dankbar für all diese Jahre mit der Band“, so der Bassist. „Im Jahr 1993 hießen PRIMAL AGE noch All Spyz. Das technische Niveau war niedrig. Nach einer Zeit des Probens und Ausprobierens haben wir die Entscheidung getroffen, uns stärker an Bands wie Earth Crisis zu orientieren. In der Folge hat sich der Name zu PRIMAL AGE geändert. Anfangs spielten wir ausschließlich Hardcore-Gigs, und das war cool für uns. Wir haben die beste Zeit des Edge-Metal mit vielen großartigen Bands erlebt. Wir haben natürlich die legendären Bands gehört, die du erwähnst. Sie haben viel für die europäische Szene getan. Vor weniger als zwei Jahren haben wir sogar ‘mal wieder mit Arkangel die Bühne geteilt. Es war eine großartige Show. Es ist nicht oft der Fall, dass wir die Gelegenheit haben, Bands unserer Generation auf der Straße zu sehen, besonders wenn man an die Hardcore-Metal-Bands denkt. In Europa sind es vor allem Heaven Shall Burn, die es auf eine musikalisch ähnliche Art und Weise geschafft haben, auf ein höheres Level zu kommen. Vor circa 15 Jahren hatten wir die Chance, einige Shows mit ihren zu spielen. Heute freuen wir uns darüber, zu sehen, was für eine große Band sie geworden sind. Viel Respekt. In der Hardcore-Szene gibt es hingegen alle fünf Jahre neue Kids, die einem anderen Musik-Stil anhängen. Nach einigen Jahren haben wir gesehen, dass unsere Musik zu weit von dem entfernt war, was die neuen Hardcore-Leute hören wollten. Zu dieser Zeit hatten wir das Glück, einen Platz bei den Metal-Festivals zu finden. An einem Wochenende konnten wir an einem Tag auf dem Plakat eines Metal-Festivals stehen und am nächsten Tag mit Hatebreed eine Club-Show spielen. Vielleicht kann man es in anderen Ländern leichter, eine Brücke zwischen den Szenen schlagen. In Frankreich ist das schwer. Was uns betrifft, denke ich, dass die Grenze vor allem in der Hardcore-Szene verläuft. Das überrascht mich nach wie vor. Wenn wir auf Metal-Festivals spielen, bemerkt das Publikum hingegen sofort die Energie, die wir investieren und verströmen. Also ist es wohl eine Einstellungsfrage und Kopfgeschichte.“

Für xDimitrix stellt sich die Entwicklung wie folgt dar: „Ich erinnere mich an das Bild einer Hardcore-Szene, die in den frühen 1990er Jahren vielfältiger war als Ende der 1980er. Eines Tages passierte es dann, dass, wenn du zu einer Show kamst, viele Leute auf die Schuhe und dein Shirt schauten, die du getragen hast. Bei den Metal-Shows war es das Gleiche. Sobald man nicht nur Schwarz trug und lange Haare hatte, wurde man komisch angeschaut. Der Hauptunterschied war allenfalls, dass man in der Hardcore-Szene mehr Bands findet, die textlich eine Botschaft vermitteln wollen. Die Metal-Kids sind häufig allein wegen der Musik da. Obwohl wir keine langen Haare haben, sehen wir, dass wenn wir zu spielen anfangen, die Leute interessiert sind. Für uns besteht die Herausforderung darin, die Aufmerksamkeit derjenigen im Publikum zu erregen, denen wir unbekannt sind. Wenn du auf Festivals wie dem Hellfest spielst, ist es hingegen egal, von welcher Schule du kommst. Aber bei einem Gig mit vier oder fünf Bands vor einem kleineren Publikum, ist es schwieriger. Als vergleichsweise alte Gruppe treffen wir inzwischen manchmal Fans der ersten Stunde, die uns bis heute die Treue halten. Zum Beispiel während unserer Japan-Tournee, als einige Jungs mit all unseren CDs zu uns kamen, um Autogramme zu bekommen. Das war witzig.“

Mit dem Texten von PRIMAL AGE Botschaften zu transportieren, ist dem Bassisten wichtig. Aber mehr noch, die Band überhaupt weiter am Leben zu halten: „Als ich 16 Jahre alt war, habe ich mit einem guten Freund von mir angefangen, Punk zu hören und zu spielen“, erzählt xDimitrix. „Dann kam irgendwann die erste Band. Das war cool, doch mir persönlich fehlte es damals noch an der positiven Message. Zwei-drei Jahre später brachte mich ein anderer Freund dazu, Hardcore-Bands wie Minor Threat, Uniform Choice und Judge, aber auch Madball und Agnostic Front zu hören. Sie alle waren so voller Energie, aber es war auch mehr als nur Musik. Danach hatte ich gesucht. Diese Wurzeln behalte ich bis heute im Hinterkopf, wie auch den Respekt vor diesen Gruppen. Wir wollen die jungen Kids motivieren, diese Legenden ebenfalls zu hören. Was unsere Motivation an Band angeht, haben wir alle den Wunsch, noch einige unbekannte Orte zu besuchen und dort zu spielen. Zudem hoffen wir darauf, auch mit einigen unserer Helden aufzutreten, die uns noch fehlen. Wann immer wir spielen, treffen wir glückliche Menschen, also es für uns noch nicht vorbei. Es geht eher darum, unserem Frontmann xDidierx, der sich inzwischen alt fühlt, klar zu machen, dass er falsch liegt und weitermachen muss.“

Hört man sich das neue Album an, kann man dieser Einschätzung nur zustimmen: „Leidenschaft ist der Schlüssel“, zeigt sich der Bassist überzeugt. „Wir spielen genau das, worauf wir Lust haben, unabhängig von den Ratschlägen der Leute, wie wir ein größeres Publikum erreichen könnten – zum Beispiel durch Emo-Parts oder französischen Gesang. Vielleicht muss man als Band ein paar Kompromisse eingehen, wenn die Musik einem das Essen auf den Tisch bringt. Das ist bei uns aber nicht der Fall. Also nehmen wir erst dann auf, wenn wir gutes Material beisammenhaben und wenn wir mit dem Ergebnis auch wirklich zufrieden sind. Das ist jetzt wieder der Fall, also können wir „Masked Enemy“ selbstbewusst promoten. Dass wir PRIMAL AGE sind, macht uns zu einem der wenigen Überlebenden einer besonderen Periode so vieler großartiger Bands in Europa und weltweit. Wir waren ein kleiner Teil davon und sind 25 Jahre später immer noch da. Ich empfinde Dankbarkeit für diese Chance. Ohne falsche Bescheidenheit denke ich, dass wir uns unsere Karriere aufgrund unserer Beharrlichkeit verdient haben. Sie war es, die uns dazu brachte, Barrieren niederzureißen. Und glaubt mir, es war nicht einfach. Eines Tages kam ein Typ einer anderen Band nach einer Show zu uns und sagte diesen Satz, den ich auf ewig im Gedächtnis behalte: „Hardcore-Metal ist tot. Ihr solltet lieber Emo-Core spielen.“ Wir antworteten so etwas wie: „Wenn Hardcore-Metal tot ist, dann werden wir auch bald sterben, aber für Emo-Core gibt es keinen Weg.“ Das habe ich dann später im Text des Songs ,Passion Versus Fashion‘ verarbeitet.“

Die Arbeit an „Masked Enemy“ hat die Franzosen vor besondere Herausforderungen gestellt: „Es ist eine Art Wunder und ich bin stolz darauf, dass dieses Projekt heute real ist“, holt xDimitrix aus. „Es sind nicht weniger als fünf Schlagzeuger, die zwischen Anfang und Ende dieser Reise beteiligt waren. Es gab so viele Zweifel, ob die Band sich vielleicht komplett aufhören sollte. Das Wunder hat einen Namen: Rudy, Schlagzeuger bei Explicit Silence. Mit seinem Verständnis für unsere Songs war er die Lösung, mach der wir gesucht haben. Mit einem unserer Gitarristen Florian schrieben wir alle Riffs. Die Texte hatte ich seit zwei Jahren fertig. Die meisten Gesangsparts waren in meinem Kopf. Nur das Schlagzeug war weit entfernt von dem, was wir im Kopf hatten. Die Frustration hielt sich monatelang auf einem Höhepunkt. Dann kam Rudy dazu und hat uns dieses wunderbare Schlagzeug beschert. Erst danach habe ich mit meinem Handy die Gesangslinien aufgenommen und an xDidierx gegeben. Wir leben ohnehin alle weit voneinander entfernt, durch die Pandemie noch mehr als zuvor. Mein Dank gilt aus diesem Grund der Technologie, die uns bei diesem Prozess geholfen hat. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, wenn unabhängig von all den Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen hatten, und Barrieren, die wir niederreißen mussten, der erste Track irgendwann Wirklichkeit wird. Nichts hat das Projekt aufhalten können, obwohl nichts einfach gewesen ist.“

Die Neuaufnahme eines Klassikers ist dabei kein Zufall: „Der Track stammt von unserer ersten MCD. ,Blinded By Cruelty‘ ist der einzige Song, den wir seit 1999 auf jeder Show gespielt haben. Ihn neu aufzunehmen, haben wir am Ende des Arbeitsprozesses an „Masked Enemy“ entschieden, nachdem wir festgestellt haben, dass die meisten Tracks qualitativ nah an diesem, unserem Lieblings-Song unserer ersten MCD waren. Das verstehen wir als gutes Zeichen.“ Auch daneben sind die Erwartungen hoch: „Als wir mit Florian die Musik von „Masked Enemy“ geschrieben haben, war es ein tolles Gefühl, weil es sein erstes Album als Gitarrist von PRIMAL AGE ist. Unsere Zusammenarbeit verlief cool. Nachdem wir den Schlagzeuger für dieses Album gefunden hatten, wussten wir ab diesem Moment, dass wir unser bestes Album überhaupt abliefern würden. Das ist das Wichtigste, was man sich erhoffen oder anschließend sagen kann. Wenn alle Mitglieder der Band damit einverstanden sind, muss es gut sein. Wir hatten auch Rückmeldungen von engen Freunden, die sich einige Stücke angehört haben und die das Gleiche sagten: „Mit Sicherheit euer bestes Album.“ Mit Alan Douches für das Mastering waren wir sicher, ein tolles Ergebnis zu bekommen. Ich bin so glücklich, weil PRIMAL AGE trotz der vielen Probleme ausdauernd geblieben sind. Sehr hart, aber am Ende auch sehr gut.“

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