RYKER’S

Die RYKER’S sind eine Institution, wenn es um Hardcore aus Europa geht. Punk(t). Ihr neues Album heißt „The Beginning… Doesn’t Know The End“ und belegt das einmal mehr. Was vor allem auffällt, sind die vorbehaltlose Leidenschaft und breite Variabilität, mit der das Quintett aufspielt. Ein Schuss Provokation und mitschwingendes Augenzwinkern runden den zwingenden, überwiegend hymnisch ausgearbeiteten Longplayer ab.

Im Gespräch mit Bassist Chris ging es aber zunächst um die „The Godfathers of Hardcore“-Dokumentation von Ian McFarland: „Man schmunzelt schon ein wenig“, erwidert der Musiker darauf angesprochen, wie er den Film wahrgenommen und welche Einsichten er gegebenenfalls über die eigene Karriere gewonnen hat: „Zuletzt habe ich in einem anderen Interview bezogen auf uns das Wort Altersweisheit gehört, was man aus den Texten herauslesen könnte, wenn man das möchte. Das finde ich es ganz gut, wenn man das tatsächlich macht. Was ich in all den Jahren gelernt habe: schon anfangs haben wir uns gesagt, dass wir Hardcore machen und uns nicht verbiegen lassen wollen. Wir passen uns verdammt nochmal nicht an. Das ist auch für den Alltag ein gutes Motto, nach dem man leben kann. Denn das erleichtert einem vieles. Auch, wenn man denkt, dass Gegenteil sei erforderlich. Einfach seinen Weg gehen und sagen, okay, das war jetzt semi-gut, aber scheiß drauf. Von seinen Fehlern zu lernen, ist in meinen Augen eine wichtige Eigenschaft. Bei dem AGNOSTIC FRONT-Film musste ich oft schmunzeln. Ich kenn die Leute gut, Roger singt jetzt ja auch auf der Platte; ich hatte die ganze Kapelle bei mir zum Grillen im Garten. Da gibt es ein freundschaftliches Verhältnis, und ich freue mich umso mehr, dass der Film so gut geworden ist und eine so breit Öffentlichkeit trifft.“

Der Tatsache, dass der Frontmann gegen Ende der Doku gesundheitliche Probleme thematisiert, zollt Chris Anerkennung: „Ich fand es überraschend, dass er das im Film offenbart hat. Grundsätzlich hat mich das Thema aber nicht überrascht, denn wir kennen uns und es ist mir bewusst, dass er mit einigen Sachen zu kämpfen hat. Dass er das so offen in einer Szene darstellt, in der man gerne die Stärke nach außen stellt und das Weiche, die wunden Punkte, verbirgt, finde ich umso beeindruckender. Das spricht für Roger.“ Die Ausgangslage und Motivation zur Gründung und Etablierung der RYKER’S ist aber doch eine andere als bei den New Yorkern gewesen: „Der Hardcore hat uns durch Werte wie Loyalität und Ehrlichkeit mit Sicherheit auf gute Bahnen geleitet und uns unbeirrt unseren eigenen Weg gehen lassen. Das sind Charaktereigenschaften, die immer seltener werden, die ich aber für sehr wichtig halte. Hardcore hat uns bestimmt nicht das Leben gerettet, denn wir kommen nicht aus den Häuserschluchten von New York und sind alle in guten Elternhäusern aufgewachsen. Das ist so, und dafür brauche ich mich auch nicht schämen. In den Drogen-, Gewalt- und Totschlagsumpf wären wir wahrscheinlich auch sonst nicht abgerutscht, da wir dafür zu schlau sind. Aber ja, Hardcore hat uns definitiv in eine gute Richtung gebracht. Ansonsten wären wir vielleicht Bankkaufleute geworden. Das war uns aber nicht in die Wiege gelegt, wie es scheint.“

Dennoch steht mit dem Bassisten nur noch ein Gründungsmitglied von 1992 im Line-Up, das die komplette RYKER’S-Karriere  überdauert hat: „Ich bin mir meiner Verantwortung diesbezüglich auch bewusst“, so Chris. „Du wirst nie sehen, wie ich einen Fan wegschicke. Wenn jemand nach einem Autogramm fragt, kriegt er das. Fragt jemand nach einem Selfie, gibt es das. Und ich gehe auch gerne mit und stoße mit einem Bier an. Allerdings kann ich mich nicht zerteilen. Die Leute sind immer traurig, wenn ihr Held sie nicht erkennt oder sie verschreckt oder nicht nett ist. Das verstehe ich. Ich selbst bin ein großer KISS-Fan und habe in dem Bewusstsein niemals einen KISS-Gruß gezeigt, weil ich denke, dass ich mir nicht 40 Jahre Fantum versauen lassen will durch ein einmaliges Treffen, das vielleicht schlecht läuft. Wenn wir nochmal auf Roger zurückkommen. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob er auf der Platte singen möchte, und er hat das möglich gemacht, obwohl es für ihn Stress bedeutet und er zwischen Hochzeit und Trauerfeier in ein Studio musste. Das rechne ich ihm hoch an. Er sagt zu oder ab, aber du kannst darauf vertrauen. Das ist mir ebenfalls ganz wichtig. Das heißt, wenn ich jemandem zusage, später noch ein Autogramm zu schicken, dann tue ich das. Ich kümmere mich, wenn ich es verspreche. Auch, wenn das manchmal an die Substanz geht, weil man sich natürlich eine Menge ans Bein nagelt.“

Dass der Musiker im Unterschied zu seinen früheren Weggefährten noch aktiv ist, liegt auch an seinen wechselnden Mitstreitern: „Einige mussten auch für sich entscheiden lassen, dass sie nicht mehr dabei sind“, scherzt Chris. „Ich sag mal so, letztlich waren Meff (erster Schlagzeuger) und ich die treibende Kraft hinter RYKER’S. Seit Meff es zeitlich nicht mehr hingekriegt hat, markiere ich allein den Motor. Ich will jetzt nicht sagen, das sei mein Leben, denn das ist mir dann doch zu platt und stimmt so auch nicht, aber es macht mir einfach unglaublich viel Spaß. Ich bin nach wie vor super motiviert, habe die Connections und mit Dennis (Sänger/ex-BRIGHTSIDE und TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN), Steve (Gitarre/ex-EROSION), Fusel (Gitarre) und Flo (Schlagzeug) ein Line-Up gefunden, mit dem es gut funktioniert und auch Spaß macht, persönlich abzuhängen. Nach der Probe am Wochenende waren wir alle zusammen grillen. Derzeit ist es ein Band-Feeling so wie 1992. Die anderen sind nicht nur Band-Mates, mit denen du ab und zu die Bühne teilst, sondern Leute, mit denen du auch deine Freizeit verbringst. Das ist wirklich toll.“

Auf dem variabel und leidenschaftlich angelegten „The Beginning… Doesn’t Know The End“ äußert sich das auch musikalisch. Schon der Opener weist den Weg; noch dazu mit einer guten Portion Provokation: „Ich behaupte mal, dass diese Platte jetzt etwas anders klingt“, äußert der Hesse. „Wir machen, worauf wir Bock haben. Jede RYKER’S-Platte hatte einen ultra-harten Song am Anfang. Es hätte auf der Hand gelegen, ,Losing Touch‘ nach vorne zu ziehen. Dennis und ich haben über der Reihenfolge gesessen und fanden beide, dass ,Let’s Ruin The Scene‘ mal ein richtig gutes Statement ist und unsere Leck Mich-Attitüde zeigt. Also haben wir ihn genommen.“ Wer sich an ‚Who Sold Out Now‘ von IGNITE’s „A Place Called Home“ erinnert fühlt, liegt nicht verkehrt, auch wenn die Band aus Kassel das nicht im Sinn hatte: „Es gibt in dieser Band fünf Leute, die eine Platte gut finden müssen. Das sind die Leute in der Band“, stellt Chris klar. „Wenn es darüber hinaus anderen gefällt, geil. Ich bin jetzt fast 50 Jahre alt. Ich muss mir von niemandem erzählen lassen, wie RYKER’S zu klingen haben, sondern schreibe viele, viele Songs, die mir gefallen. Natürlich kann ich verstehen, wenn jemand immer noch nach der „Brother Against Brother“ schreit, aber wir sind inzwischen 25 Jahre weiter und können die gleiche Platte nicht noch einmal neu aufnehmen. Und selbst, wenn wir das versuchen würden, müsste es anders klingen. Deshalb: wem es gefällt, super. Jeder, der sich damit auseinander setzt, ist willkommen. Und wenn nicht, kann ich es nicht ändern. Der Titel ,Let’s Ruin The Scene‘ spricht ja für sich. Wer sich angepisst fühlen will, wird sich angepisst fühlen. Was ich jetzt auf youtube gelesen habe, wo scheinbar jeder kommentiert, der nicht kommentieren sollte, ist schon bezeichnend. Die Leute lassen sich darüber aus, wie scheiße der Song ist. Okay, den Text habt ihr also nicht verstanden oder nicht gelesen, aber ab dafür, gerne.“

Das Quintett ist mit sich und seiner Platte im Reinen: „Das Ganze sollte basischer klingen“, äußert der Bassist. „Wir wollten nicht diese Standard-0815-MetalCore-Produktion. Von den Gitarren her ist es letztlich sehr metallisch geworden. Die Platte ist sehr hart und dabei auch sehr trocken. Ich höre mir das Ding tatsächlich auch immer wieder an. Andy Classen, unser Haus-und-Hof-Produzent, ist ebenfalls super happy mit dem Album. Seine Worte dazu: „Die erste RYKER’S-Platte seit 1993, die wieder Sinn macht, weil der Rest immer irgendwie ein bisschen auf Nummer sicher war.“ Ich finde es schön, dass selbst ich immer noch etwas Neues entdecken kann und sie mir aufgrund des Abwechslungsreichtums gefällt.“

Bezüglich der Sicherheitsalben stellt das auf Nachfrage Gründungsmitglied klar: „Nee, das wäre ja Quatsch, wenn ich das sagen würde. Ich kann das aber aus Produzenten-Sicht nachvollziehen, der einfach sagt, dass wir immer unseren Stiefel durchgezogen haben. Jede Platte klang anders und hat die damalige Zeit und das jeweilige Line-Up repräsentiert. Aber jetzt ist tatsächlich der Punkt gekommen, wo wir auch nach rechts und nach links schauen, nach oben und auch nach unten. Und wenn wir einen Akustik-Song auf die Platte packen wollen, tun wir das halt.“

Das Eigen-Cover des Klassikers ,Cold Lost Sick‘ mit Singer/Songwriterin Rebecca Haviland (LAVALETTE) ist toll und fällt ebenso auf wie der präsente, souveräne Auftritt von Dennis, für den „The Beginning… Doesn’t Know The End“ das zweite Album als Frontmann markiert: „Bei der letzten Platte war es so, dass Kid-D keine Lust mehr hatte“, erinnert Chris. „Wir haben uns lange darüber unterhalten. Dennis ist ganz spontan eingesprungen, hatte nur eine Woche Zeit, um über alles nachzudenken, sich die Texte anzuschauen und reinzuhauen. Jetzt war er an den Songs beteiligt und hat viele der Texte geschrieben. Dann geht man natürlich mit ganz breiter Brust an die Sache heran. Und es war so, dass wir auf den Live-Shows festgestellt haben, dass die Leute ihn akzeptieren. Es war der einzige Sänger, der damals als Ersatz möglich war. Jemand außerhalb der Kassel-Crew um RYKER’S und BRIGHTSIDE, also kein alter Kumpel, wäre nicht gegangen. Deshalb haben uns die Leute das gut verziehen bzw. geil aufgenommen. Aber ja, jetzt geht er mit einer breiten Brust an die Sache heran. Umso schöner ist es da, dass Kid-D die Songs ebenfalls abfeiert. Der kann damit gut leben. Da gibt es kein böses Blut, sondern 100 Prozent Support. Das ist so, wie es sein sollte.“

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