Der erste Kontakt mit SCENE QUEEN gleicht einer Reizüberflutung. Zwischen Provokation, Schmeichelei und Breitwand-Sound setzt es grell-auffällige Crossover-Tracks mit feministischen Texten. „Hot Singles In Your Area“ ist nicht nur seinem Titel nach mehrdeutig und vielschichtig. Hannah Collins hat ein Projekt zwischen MetalCore, Elektro und Pop aufgesetzt, das keine Berührungsängste kennt und etwa auch Country und Hip Hop umfasst.
Die pinke Farbe des Cover-Artworks mit nachgestellten „Erotik-Anzeigen“ auf dem Display überrascht weniger als der abgebildete Desktop-PC: „Du unterschätzt das Alter meiner Hörerschaft“, erwidert Hannah Collins darauf angesprochen. „Die Mehrheit ist in meinem Alter, also zwischen Mitte bis Ende 20. Ich gehöre noch zu der Generation, die mit Barbie-Puppen und CD-Roms aufgewachsen ist und auch mit solchen Computern. Die Idee hinter dem Cover ist nostalgisch, denn ich möchte meiner Kindheit Tribut zollen. Die 2000er Jahre waren eine tolle Zeit, mit der ich viele gute Erinnerungen verbinde. Zwar wusste ich noch nicht, welchen Platz das Leben für mich vorsieht, doch musikalisch ist es eine sehr inspirierende Zeit gewesen. Dasselbe Cover mit meinem modernen Tablet würde viel eher verrückt anmuten.“
Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung ist SCENE QUEEN von Beginn an auf die reale Welt ausgerichtet gewesen: „Blicke ich allein auf meine Karriere, ist die schlimme Phase der Pandemie ein Segen gewesen, denn sie ist in dieser Zeit so richtig durchgestartet“, erzählt Hannah. „Ich habe das SCENE QUEEN-Projekt begonnen, als ich mich aus der Songwriting-Welt zurückgezogen habe, um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Ich war es leid, auf andere zu warten, die mich unterstützen sollten, es aber nicht taten. Dann habe ich mich auf TikTok registriert und angefangen, Content hochzuladen. Das lief parallel dazu, dass ich nach meinem Sound gesucht und Demos produziert habe. Über TikTok wollte ich mit der Alternative-Community in Verbindung bleiben, konnte aber gleichzeitig auch Menschen auf der ganzen Welt ansprechen. Schon vor CORONA hatte ich eine kleine Anhängerschaft. Als ich SCENE QUEEN offiziell gestartet habe, sind die Follower-Zahlen dann sofort explodiert. Und das trotz der Umstände. Inzwischen lebe ich in Los Angeles, bin während der Pandemie aber zu meiner Familie nach Ohio gezogen. Bei meinen ersten TikToks lehnte mein Smartphone an der Mülltonne meiner Mutter, weil ich in ihrem Hinterhof aufgenommen habe. Das war verrückt, doch im Rückblick kann ich sagen, dass ich das Beste aus der Situation herausgeholt habe.“ Dabei ist Hannah der direkte Kontakt mit ihren Fans wichtig:
„Vor den Lockdowns konnte ich nur wenige Shows spielen“, erinnert die Künstlerin. „Über die Zeit von eineinhalb bis zwei Jahren war es unmöglich, auch nur einen meiner Fans persönlich zu sehen. Als es dann endlich wieder möglich wurde, aufzutreten, hat sich das surreal angefühlt. Es ist etwas anderes, die Reaktionen der Leute mit eigenen Augen zu sehen. Im Internet gibt es reichlich Kommentare, positive wie negative, aber das ist eine andere Sache. Kritik wird einem selten ins Gesicht geschleudert, während es so einfach ist, dies im anonymen Internet zu tun. Dass die ersten Shows aber direkt alle ausverkauft sein würden, hatte ich nicht erwartet. Die Festivals, die ich gerade spiele, sind noch einmal ein ganz eigenes Universum. Dass ich nach so kurzer Zeit solche Auftritte habe, fühlt sich für mich verrückt an.“ In Europa wird SCENE QUEEN dabei besser verstanden: „Wenn mich Leute zum ersten Mal sehen, gibt es deutliche Unterschiede“, bestätigt Hannah die Vermutung. „In Europa verstehen die Leute direkt, worauf ich aus bin und dass alles übertrieben und nicht zu ernst gemeint ist. Die Musik in Europa ist in der Breite experimenteller und vielfältiger als in den USA. Das hilft, weil in meinen Songs ja ebenfalls viel zusammenkommt. Das Erkennen von Sarkasmus ist aber das, was den größten Unterschied ausmacht. Es gibt mehr Leute als man denkt, die meinen SCENE QUEEN-Content für bare Münze nehmen. So ist dieser natürlich nicht angelehnt. Es überrascht mich regelmäßig, dass die offensichtlichen Übertreibungen und Späße weder gesehen noch verstanden werden. Einige Leute sind dafür scheinbar nicht empfänglich.“
Um ihre Fans nicht abzuhängen, schaltet Hannah für den Moment etwas herunter, wie sie ausführt: „Ich schreibe ständig und könnte jede Woche neue Songs veröffentlichen. Doch damit würde ich meine Fans überfordern. Die EPs „Bimbocore“ und „Bimbocore Vol. 2“ sind im Abstand von fünf Monaten erschienen. Als „Vol. 2“ herauskam, waren viele Fans noch nicht mit der ersten EP durch. Mit „Hot Singles In Your Area“ habe ich nun zum ersten Mal eine Handvoll Stücke, mit denen ich über etwas längere Zeit auftreten werde. Die Leute wollen auf Konzerten mitsingen, müssen dafür aber zunächst die Texte lernen. Ändert man zu häufig und schnell die Setlist, würden die Leute jedes Mal für sie neue Songs erleben, jedoch nicht diejenigen, die sie kennen, hören und zu denen sie mitsingen wollen. Bei den letzten Headline-Shows ist mir aufgefallen, dass viele Leute wirklich alle Texte auswendig kennen und sie mitsingen. Sie will ich nicht enttäuschen.“