TAYNE

Die Briten von TAYNE haben ihr Album konzeptionell um das Thema „Love“ aufgesetzt. Die Verarbeitung nicht greifbarer, mitunter verwirrender Emotionen findet dabei ebenso ihren Raum wie Fragen nach dem Umgang mit Bindungen und Konflikten. Stilistisch präsentiert sich das Feld ebenfalls breit und umfasst unter anderem Post-Industrial, Shoegaze-Ästhetik, Noise-Rock, Anti-Pop und markante Elektro-Rhythmen.

„Wir haben schlicht damit angefangen, die Art von Musik zu machen, die wir machen wollten“, überlegt Frontmann und Bassist Matthew. „Natürlich hat es eine Weile gedauert, bis wir herausgefunden haben, in welche Richtung es geht. Aber „anders“ war schon immer ein Wort, das unsere Band und unseren Sound umgab. Dahinter verbirgt sich aber lediglich das Streben, etwas zu machen, das sich ehrlich anfühlt. Wenn ich gefragt werde, was wir tun, beschreibe ich es gewöhnlich wie folgt: „Weder sind wir düster genug für die Goth-Kids noch experimentell genug für die Experimental-Kids. Für die letztgenannte Gruppe klingen wir zudem auch nicht genug nach Metal oder Rock.“ Der Grund für all das liegt daran, dass wir viele Einflüsse aus vielen verschiedenen Genres haben. Das ist Segen und Fluch zugleich. Zwar ist für jeden etwas dabei, aber man muss dafür arbeiten, das zu verstehen. Ich mag es durchaus, dass wir Musik schreiben, die nicht für jedermann etwas ist. Genugtuung ziehe ich aber erst aus der Tatsache, dass die Leute unsere Musik als herausfordernd oder anders empfinden.“

Mit der Aufstellung zwischen den Stühlen zeigt sich Matthew erwartungsgemäß zufrieden oder hat sich damit inzwischen zumindest arrangiert: „Unsere Musik ist klanglich aggressiv“, äußert der Musiker zurecht. „Um Spannung zu erzeugen, wollten wir uns schon immer auf die extreme Seite davon stürzen. Sie lehnt sich stark an Industrial-Sounds an, aber es gibt den Kontrapunkt der sanften Vocals und Pop-Song-Strukturen, die eine krasse Gegenüberstellung schaffen. Die Spannung zwischen Chaos und Schönheit ist etwas, das wir schon immer im Sound haben wollten. Sie ist immens wichtig. Im Laufe der Jahre haben wir versucht, unseren Sound mit vielen Labels zu kategorisieren und uns letztlich für Industrial-Noise-Pop entschieden. Die Selbstverwirklichung ist für uns das Wichtigste beim Musikmachen. Verstanden zu werden oder auch nicht, ist nichts, worüber wir uns sorgen. Die Leute kann man nur bis zu einem gewissen Grad mit dem Löffel füttern. Irgendwann muss man sie es selbst herausfinden lassen. Das Schöne an der Kunst ist ja, dass sie subjektiv ist und jeder das aus ihr nehmen kann, was er will.“

TAYNE vertrauen auf ihre Kreativität und halten ihrem eingeschlagenen Weg die Treue. Das trägt langsam Früchte: „Die Wahrnehmung der Leute hat sich durch die Unterstützung eines Labels hinter der Band merklich verändert“, führt der Frontmann und Bassist an. „Gleichzeitig vertraue ich meinem Gefühl, dass wir immer noch eine ziemlich neue und unentdeckte Band sind. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Beiträge oder Wahrnehmung anderer uns bislang nicht beeinflusst haben. Der Unterschied zwischen dem Album, das jetzt herauskommt, und dem Material, das wir zuvor veröffentlicht haben, ist, dass unser frühes Songmaterial das Gefühl vermittelte, dass es bei der Aufnahme und Produktion noch viel Raum für Verbesserungen gab. „Love“ fühlt sich nun endlich wie die genaueste Version von TAYNE an, die wir den Leuten zeigen wollen. So gut haben wir noch nicht geklungen. Das gefällt uns. Alles, was wir von jetzt an machen, baut darauf auf und wird sich zumindest auf diesem Niveau abspielen.“

Ein legitimer Zwang

Die aus London stammende Formation bereitet sich schließlich schon eine ganze Weile auf ihren Schritt hinaus ins Rampenlicht vor: „Unser Gitarrist Tom und ich haben uns vor etwa acht Jahren kennengelernt. Wir haben zunächst versucht, eine andere Art von Band zu gründen. Das hat aber nicht geklappt, weil ich mich bereits in der Inkubationsphase der Entwicklung von TAYNE befand. Als unsere erste gemeinsame Band aufhörte, sagte ich Tom, dass ich dieses Projekt versuchen würde, und er war sofort dabei. In den ersten zwei Jahren stand ein Drumcomputer mit uns auf der Bühne. Alles klang sehr Sisters Of Mercy- und Godflesh-mäßig. Dann haben wir verschiedene Schlagzeuger ausprobiert, bis es passte. Die Konstellation eines Trios ist für uns perfekt, weil es die Logistik vereinfacht. Unsere Methode des Songschreibens beginnt und endet normalerweise am Computer. Irgendwo dazwischen existiert die Band. Früher haben wir noch versucht, alles – also Gitarren, Bass und alles andere – hineinzupacken, aber bis heute haben wir das wieder zurückgeschraubt und versuchen schlicht, den Songs zu dienen, anstatt unseren Instrumenten. Das ist ein viel besserer Prozess. Manchmal schreibt man so Sachen, die gegen das verstoßen, was man normalerweise tut. Als Teil des Prozesses kann das wirklich interessant sein, zumal es auch ein bisschen das Ego rausnimmt.“

Die dunklen Atmosphären und Inhalte kommen Matthew zufolge dabei ganz von selbst auf: „Viele der Themen und Konzepte der Musik entstehen, wenn ich vor einem Spiegel stehe und das, was mich im Spiegel ansieht, auseinander nehme. Kummer und Trauer scheinen ein ständig wiederkehrendes Thema zu sein. Es ist eine schwere Übung, aber sie ist ehrlich und Ehrlichkeit ist real. Das ist mir wichtig, denn erst sie verleiht der Musik diese besondere Stimmung und Schwere. Dass der Industrial die Grundlage für unseren Sound ist, liegt daran, dass wir mit ihm aufgewachsen sind. Einflüsse sind immer wichtig, aber man muss auch etwas Neues und ein Stück von sich selbst einbringen. Sonst stellt sich schnell die Frage, wozu das Ganze gut sein soll.“ An diesem Punkt startet das Songwriting von Matthew: „Beim Schreiben und Kreieren von Musik lege ich eine ungesunde Besessenheit an den Tag“, verrät der britische Musiker. „Was mich antreibt, ist ein legitimer Zwang. Ich neige dazu, diesem mehr als allem anderen zu dienen. Da wir auf Basis des neuen Materials weitermachen und sogar schon Sachen haben, die nach den „Love“-Sessions entstanden sind, wird es inzwischen immer flüssiger. Als Künstler neigt man dazu, seine Komfortzonen zu bemerken, weil es die Tendenz gibt, sich dorthin zu bewegen. Das alles ist Teil des Entwicklungsprozesses, aber nur darüber hinauszugehen, hält es interessant.“

Um das zu erreichen, lassen sich die Briten treiben und folgen den Erfordernissen ihrer Tracks: „Im Schreibprozess dienen wir unseren Songs, schauen, was passiert, und verfeinern dann. Das Schlimmste, was wir als Band anfangs versucht haben, war, all unsere Instrumente in jeden Aspekt der Songs zu stopfen. Ich weiß, dass es verrückt klingt, wenn es von uns kommt, aber „keep it simple“ ist die große Übung, die wir meistern versuchen. Vielleicht treffen wir musikalisch eigenartige Entscheidungen, aber damit versuchen wir, die Musik zu erschaffen, die wir machen wollen. Es geht nicht darum, andere herauszufordern, sondern uns selbst.“ Ein Beispiel zur Verdeutlichung des Gesagten hat der Bassist direkt zur Hand: „Der Song ,Scars‘ begann mit einem großen, poppigen Refrain im Stil von Bloc Party. Wir wussten, dass er funktionierte, fühlten aber auch, dass dies ein Wendepunkt im Song sein musste, damit er funktionierte. Der Refrain zahlt sich in diesem Stück einmal aus. Den Rest des Songs haben wir darum herum aufgebaut – ein glitch-lastiges Bridge-Outro und einen TAYNE-Vers, der die Titelmelodie von „Terminator“ aufgreift. Unser Ziel war es, das komplette Gegenteil von dem zu erschaffen, was dieser große Refrain-Hook macht. Fast so, als käme er aus dem Nichts; fange einen ein und verschwinde dann wieder.“

„ArtPop“ haut rein

Das Londoner Trio hat seinem Kreativkopf zufolge noch viel vor. Das liegt ein Stück weit in der Natur der Sache und der bewusst vielseitigen Anlage des Sounds: „Lustigerweise hat das Anhören von Lady Gagas Album „ArtPop“ bei seinem Erscheinen eine große Rolle dabei gespielt, zu erkennen, was wir mit TAYNE erreichen wollen. Es hat mich umgehauen, dass diese Mainstream-Pop-Musik so kantig und aggressiv klingt. Wenn man Gaga von diesem Album entfernt, ist es ein massives, knallhartes EDM-Album mit schrecklichen, lauten Texturen. Kritisch gesehen war es ihr größter Flop. Ich glaube nicht, dass die Leute es auch nur ansatzweise verstanden haben. Die Songs waren ihrer Zeit meilenweit voraus, haben zumindest mir die Augen dafür geöffnet, was Pop-Musik erreichen kann. „ArtPop“ haut rein. Pop-Musik wird also im Kern immer ein wesentlicher Bestandteil von uns sein.“ Die Gefahr, dass TAYNE und „Love“ ebenfalls nicht verstanden werden, sieht Matthew durchaus:

„Definitiv ja, doch wir gehen dieses Risiko ein! Das Streaming hat die Art und Weise verändert, wie Menschen Musik konsumieren. Es gibt Playlists und Singles, was mit Vor- und Nachteilen einhergeht. Wir präsentieren unsere Musik absichtlich nicht auf diese Weise. Zwar koppeln wir auch Singles aus, aber ich finde, ein Album sollte eine fließende Reise sein, die von Track zu Track führt. Als Band kuratieren und präsentieren wir ein Gesamtwerk, das mit sich selbst korreliert und in Resonanz steht. Wir haben viel Zeit damit verbracht, Sounds und Tracks zu erschaffen, die miteinander in Verbindung stehen. Indem wir Elemente aus dem vorherigen Track übernommen oder angedeutet haben, was als Nächstes kommt, haben wir versucht, alles fließend zu halten. Für mich ist das ein spannender Teil beim Schreiben eines Albums.“ Neben Lady Gaga üben folgende Künstler Einfluss auf Matthew aus: „Meine aktuellen Rotationen sind Oranssi Pazuzu, Rival Consoles und The Cure“, erzählt der Bassist und Sänger. „Sie alle sind aus unterschiedlichen Gründen großartig. Von dem neuen Album von Chelsea Wolfe war ich ebenfalls stark beeindruckt. Inzwischen weiß man schon, was man von einem Album von Chelsea Wolfe erwarten kann, doch sie hat es in eine ausgefeiltere elektronische Stimmung gebracht. Es hat dem Album eine neue Dimension verliehen und fühlte sich ein bisschen mehr nach Mainstream an, besitzt aber immer noch ihren einzigartigen und unverkennbaren Sound.“ Das Label des Trios, MNRK UK, preist TAYNE „für Fans von Nine Inch Nails, Health, ††† (Crosses), The Black Queen, Youth Code, Ministry“ an. Für den Frontmann geht das in Ordnung:

„NIN erwähne ich immer gegenüber Leuten, die uns nicht kennen“, sagt Matthew. „Das ist der einfachste Bezugspunkt, mit dem sich die Leute identifizieren können. Natürlich hatten sie einen Einfluss darauf, was wir tun, denn mit solchen Sachen bin ich aufgewachsen. Abgesehen davon ist es ein großes Kompliment, überhaupt in einem Atemzug mit NIN genannt zu werden. Dennoch haben wir keine Lust, den NIN-Sound neu zu erschaffen oder zu replizieren. Einflüsse sind wichtig, aber man muss etwas Eigenes mitbringen, das zu einem passt und neu ist. Ministry und Health sind Teil derselben Konversation. Vor ein paar Jahren hatten wir das Glück, einige Shows als Vorgruppe für Health zu spielen. Es war toll, ihre Arbeitsweise aus der Nähe zu erleben und zu sehen, wie sie live auftreten. Man sollte seine Helden immer treffen, erst recht, wenn sie so großartige Menschen sind.“

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Picture credit: Eivind Hansen