„Phanerozoic Live“ – der Titel ist Programm. Den ersten Teil von „Phanerozoic“ gab es im März 2021 als Live-Stream aus dem Pier 2 im Bremer Hafen. Den zweiten Teil haben THE OCEAN kurze Zeit später im Studio „Die Mühle“ für die spätere Ausstrahlung des digitalen Roadburn-Festivals aufgenommen. Via Pelagic Records erscheint das kombinierte Live-Erlebnis aller 15 Stücke.
Die Live-Veröffentlichung markiert so etwas wie den Abschluss der kulturellen Eiszeit der Corona-Pandemie und fungiert als Einstimmung auf die anstehenden Tour-Pläne. Ab Januar 2022 will das Sextett mit dem im letzten Jahr erschienenen „Phanerozoic II: Mesozoic / Cenozoic“ unterwegs sein: „Natürlich haben wir gemerkt, wie wichtig dieses Live-Ding für uns ist“, bestätigt Kollektiv-Kopf Robin Staps. „Zu touren, ist die wesentliche Triebkraft hinter der Band. Uns die Möglichkeit zu nehmen, Konzerte zu spielen, hat sich so ähnlich angefühlt, wie wenn eine private Beziehung in die Brüche geht und man plötzlich merkt, was man da verloren hat. Was das Kreative angeht, habe ich in der Tat ein Stück weit einen anderen Blickwinkel auf das bekommen, was ich tue. Das Resultat ist jetzt unter anderem das Album, an dem wir gerade arbeiten. Das ist auf völlig andere Art und Weise als sonst entstanden. Es basiert überwiegend auf Song-Ideen von Peter, unserem Synth-Mann, die ursprünglich gar nicht für THE OCEAN bestimmt gewesen sind, sondern die er für sein Synth-Solo-Projekt geschrieben hat. Nachdem er sie mir geschickt hat, habe ich sie oceanisiert, Sachen drüber gespielt, Gitarren und Drums gebaut, und alles neu arrangiert. Das alles hat so gut funktioniert, dass daraus jetzt ein komplettes Album entstanden ist, was am Ende schon eine andere Ausrichtung nimmt, aber trotzdem unverkennbar nach THE OCEAN klingt. Das ist ohne Frage ein Nebenprodukt der Pandemie und hätte es sonst so nicht gegeben. Das liegt einzig und allein daran, dass wir alle zu Hause gehockt und uns Dateien hin und her geschickt haben, um uns darüber auf dem Laufenden zu halten, was wir gerade tun. Die erzwungene Isolation im letzten Jahr hatte also doch etwas Gutes.“
Auch in anderer Hinsicht kam die Pause gelegen: „Es was nicht so, dass wir kurz vor einem Burnout standen, doch der Tour-Stopp war für uns nicht wirklich schlimm“, rekapituliert Robin. „2019 waren wir viel unterwegs, erst in Indien, Australien und Neuseeland, dann gefolgt von einer Europa-Tour, Shows in Russland, Japan, Armenien, Georgien und Belarus sowie einer weiteren Tour im Herbst. Als Corona losging, fand ich es anfangs angenehm, zu Hause zu bleiben. Es gab nur Frust darüber, dass wir nicht wie geplant in Südamerika touren konnten. Aus dem vielen Touren resultiert eine gewisse Rastlosigkeit, die zwangsweise gebremst worden ist, was angenehm war. Dazu kam, dass sowohl Matthias (Bass) als auch Loïc (Gesang) gesundheitlich angeschlagen waren. Loïc hatte eine Operation am Ohr und war Monate außer Gefecht gesetzt. Matthias, der eine seltene Erkrankung an den Fingern bekommen hat und etliche Monate keinen Bass anfassen konnte, ganz genauso. Das beides hat lange gedauert, ist aber genau in der Zeit passiert, als die ganze Welt sowieso stillstand. Es hätte keinen besseren Zeitpunkt geben können.“
Als es an der Zeit war, „Phanerozoic Live“ umzusetzen, waren THE OCEAN wieder fit: „In unserem Fall kann ich absolut bestätigen, dass wir uns schon beim Schreiben darüber im Klaren sind, dass wir das Album später auch am Stück spielen werden“, so Robin. „Dieses Bewusstsein war bei mir früher nicht immer so ausgeprägt. Doch gerade jetzt, wo wir ein neues Album schreiben, merke ich, dass es genau so sein muss. Ich persönlich finde es auch als Musik-Fan geil, wenn eine Band ein Album herausbringt und dann nur mit diesem auf Tour geht. Insofern war es kein fremder Gedanke, den Stream und den Mitschnitt so anzugehen. Die Vorbereitung war für uns deshalb eine Herausforderung, weil wir uns ein Jahr nicht gesehen hatten und die Logistik schwierig war. Matthias lebt in Stockholm, Loïc in der Schweiz. Beide mussten zunächst nach Berlin reisen und in Quarantäne gehen. Dann direkt ein neues Album zum ersten Mal am Stück zu spielen, ist schon eine Herausforderung. Wir haben einen Monat geprobt, auch, weil es zwei völlig unterschiedliche Nummern waren. Der Stream aus Bremen war ja tatsächlich live im Sinne von, dass wir zu einer definierten Zeit auf die Bühne gegangen sind und wussten, dass 1500 Leute zuschauen. Das war wie ein normales Konzert in einer riesigen Halle, nur ohne Publikum und vor einem Kamera-Team.
Es hat sich auch wie ein Konzert angefühlt, zumal nach dieser langen Zeit des Ausgebremstseins. Obwohl dort keine Leute anwesend waren, hat es dasselbe Adrenalin bei uns ausgelöst. Das war komisch, aber ungeheuer befreiend. Weil wir die Songs von „Phanerozoic I“ schon live gespielt hatten, mussten wir nur die Routine wieder aufwärmen. Das hatten wir uns bewusst so ausgesucht und uns dazu entschieden, dass schwierigere Konzert „Phanerozoic II“ für die Ausstrahlung im Rahmen des Roadburn-Festivals bei Peter im Studio aufzuzeichnen. Wir haben das Material an dem Tag fünf Mal gespielt und am Ende das beste Take ausgesucht. Es ist grundsätzlich genau so live wie das andere. Wir standen zusammen in einem Raum und haben das Set komplett durchgespielt, nicht nur Song für Song oder Part für Part. Das wollte ich mit THE OCEAN schon immer einmal so machen, denn normalerweise arbeiten wir nicht so.“