Klanglich wirkt das Album zunächst leichtfüßig und beinahe unbeschwert – ein Eindruck, der jedoch täuscht. Hinter der scheinbaren Sanftheit verbirgt sich ein tiefgründiges Werk, das sich mit der düsteren Realität der Gegenwart auseinandersetzt. Schon das Cover, das eine hoch aufragende, bedrohliche Flagge zeigt, deutet an, dass hier mehr verhandelt wird als bloße Ästhetik. VØVK, ein Trio aus Kiew, verarbeitet auf „Litera“ die bedrückende Situation in ihrer ukrainischen Heimat, die von Krieg, Gefahr und Unsicherheit geprägt ist. In sieben eindringlichen Tracks übersetzen sie diese Erfahrungen in einen musikalischen Zyklus von Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung. Dabei gelingt ihnen eine bemerkenswerte Abstraktion: Die Realität wird nicht dokumentarisch dargestellt, sondern künstlerisch verdichtet und emotional erfahrbar gemacht. Dass die Band ihre Texte in ihrer Muttersprache verfasst, ist nicht nur authentisch, sondern auch ein kraftvolles Zeichen kultureller Selbstbehauptung. Musikalisch bewegt sich „Litera“ zwischen atmosphärischem Post-Rock und progressiven Elementen, ohne sich in genretypischer Härte zu verlieren. Stattdessen dominieren melodische, verträgliche Klangflächen, die eine fast meditative Wirkung entfalten. Extreme Ausbrüche oder vordergründige Aggression sucht man vergeblich – und genau darin liegt die Stärke des Albums. VØVK setzen ihre Akzente subtil, aber wirkungsvoll. Jeder Song erzählt eine eigene Geschichte, eingebettet in ein übergeordnetes Narrativ, das sich intuitiv und organisch entfaltet. Das Storytelling ist durchdacht und umsichtig, nie plakativ. Die Band versteht es, mit feinem Gespür für Dramaturgie und Atmosphäre den Spannungsbogen ihres Albums zu halten. Am Ende stehen nicht Resignation oder Verzweiflung, sondern Zuversicht und ein leiser, aber bestimmter Optimismus. Für VØVK ist Aufgeben keine Option – ihre Musik ist ein Akt des Widerstands und der Hoffnung zugleich. Hervorzuheben sind die klug platzierten Gastauftritte, die „Litera“ zusätzlich bereichern und neue Perspektiven eröffnen. Mit dabei sind Johannes Persson (Cult Of Luna), Anton Slepakov, Maksym Chukhlib, Oleksii Bohomolnyi, Artem Dudko, Serhii Dudko und Yehor Pavliuchkov.
(kontrabass)