FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER – Kassandras Komplex

Wer seiner Zeit voraus ist oder etwas tut, das vom Mainstream abweicht, läuft Gefahr, nicht verstanden zu werden. Der Kassandra-Komplex beschreibt das Phänomen, bei dem jemand die Zukunft vorhersieht, aber nicht in der Lage ist, diese Vorhersagen zu ändern oder von anderen ernst genommen zu werden. Im modernen Kontext wird der Begriff meist verwendet, um Personen zu beschreiben, die wichtige Warnungen oder Hinweise geben, die jedoch ignoriert werden. Die FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER fallen zumindest teilweise in diese Kategorie, was Teil ihres Konzepts ist. 1987 in Dresden gegründet, besteht die Gruppe seit 2016 aus den Gitarristen Tex Morton (Mad Sin) und Joey A. Vaising (ex-Think About Mutation), Bassist Rajko Gohlke (Knorkator), Schlagzeuger Boris Israel Fernandez (Messer Chups) sowie dem umtriebigen Frontmann Ray van Zeschau. Das Quintett bietet Musik und Art-Happening zugleich. Die Songs zwischen Alternative-Rock, Gothic-Rock, Wave und Post-Punk sind nur ein Teil der Gleichung. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass „Kassandras Komplex“ mit großem Pomp im Oktober 2024 am Tag der Deutschen Einheit im Staatsschauspiel Dresden erstmals aufgeführt wurde. Mit ,Die Moritat von Mackie Messer‘ findet sich nicht zufällig ein Track, dessen Text von Bertold Brecht stammt. Überhaupt reicht der Ansatz der FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER tief. ,Der leere Raum‘ zeichnet etwa die letzten gemeinsamen Stunden des Frontmanns mit seinem sterbenden Onkel nach. Auch andere Stücke widmen sich großen Fragen des Lebens und Menschseins. Oftmals bitter, manchmal arg pathetisch, aber immer reflektiert und absichtsvoll: „Kassandras Komplex“ ist, unabhängig von seiner stilistischen Ausgestaltung, ein Album, das fesselt und unversehens in einen Strudel widersprüchlicher Gedanken und Gefühle zieht. Groß!

(Majorlabel/Strandard63/Hard Hat Area)