PINHEAD

Bei PINHEAD dreht sich alles um Gegensätze, Emotionen, Ausprobieren und Vielseitigkeit. Ilja John Lappin, Bassist und Sänger von The Hirsch Effekt, hat ein Solo-Outlet auf die Beine gestellt, bei dem alles erlaubt und nichts ausgeschlossen ist. Der Album-Titel „Egomessiah“, aber auch die Benennung nach der Figur aus „Hellraiser“ dienen als Fingerzeig für das an den Tag gelegte Selbstbewusstsein und den Vorwärtsdrang, mit dem der Multi-Instrumentalist, Sänger und Produzent zugange ist.

PINHEAD ist ein progressives Musikprojekt, welches sich mit dem Aufbau und Niederreißen brachialer Klanglandschaften beschäftigt und als Ausdrucksmittel meines inneren Seelenlebens verstanden werden kann, auch wenn es Stücke gibt, die „externer“ ansprechen“, umreißt Ilja seinen Ansatz im Alleingang. „Die Präferenz dabei ist, sich musikalisch zwar progressiv zu entwickeln, aber immer alternative Wege zu gehen, ohne sich dabei zu sehr zu verlieren oder Eingängigkeit – oder das, was andere auch mal Simplizität nennen – komplett außen vor zu lassen. Na gut, und meine Liebe für Horrorfilme manifestiert sich hier und da unterbewusst.“ So ähnlich verhält es sich mit dem Outlet insgesamt, irgendwann war es gestartet: „Eine „Notwendigkeit“ gab es von Anfang an nicht“, sagt der Künstler. „Vielmehr war es eine natürliche Entwicklung über Jahre, die zur aktuellen Form von PINHEAD geführt hat. Mit der Zeit haben sich Ideen und Songs angesammelt, die woanders nicht realisiert werden konnten, die ich auf einer Festplatte aber auch nicht verstauben lassen wollte. Es hat etwas Befreiendes, machen zu können, was man will, und keine Kompromisse eingehen zu müssen. Das ist der Unterschied zu anderen Band-Konstellationen, wo so etwas meistens unvermeidbar ist und nach Lösungen im Team gesucht wird. Dies bedeutet, sich zurücknehmen zu müssen, auch wenn man sich manchmal auch durchsetzen kann. Das alles hat seine guten und schlechten Seiten und seine Daseinsberechtigung. Es macht natürlich aber unheimlich viel Spaß, dass ich PINHEAD für mich als eine Art Spielwiese ohne Grenzen betrachten kann, wo ich nur mit meinem eigenen Geschmack fein sein muss und keine Diskussionen über andere musikalische oder textliche Meinungen führen muss – oder wie eine Ästhetik auszusehen hat oder welche Art von Stil man anstrebt. Das erstreckt sich auf den ganzen Apparat. In herkömmlichen Bands und der gemeinsamen Musik ist man immer nur ein gewisser Teil des Ganzen. Das hier bin zu 100 Prozent ich. Das bringt für mich neue Prozesse und andere Herausforderungen mit sich. Nach Jahren ist es auch mal schön, so einen neuen Weg einschlagen zu können.“

All das, was bereits zur Sprache kam, lebt Ilja im Alleingang konsequent aus: „Auf meinem Debüt-Album „Egomessiah“ geht es um Identität und Individuation – die Selbstwerdung, die niemals abgeschlossen ist. Es ist die stetige Entwicklung von „Wer bist Du und wer wirst Du in dieser immer schnelllebigeren, absurderen, krassen Welt sein?“. Dazu gehört eine gute Portion Dunkelheit – sowohl bei mir persönlich als auch eher nihilistische Betrachtungen der Welt und der eigenen Vergänglichkeit. Dann sind da wiederum das Wissen und der Glaube, dass die Dunkelheit letztlich zum Licht führen wird. Das schlägt sich in den Texten nieder, verbindet die Songs thematisch miteinander und manifestiert sich in der bildlichen Darstellung des Projektes. Natürlich ist da auch Gothic vorhanden, welches zwar Einfluss auf die Ästhetik nimmt, sich musikalisch aber gar nicht so manifestiert wie es der Metal tut.“

Im musikalischen Niemandsland

Der Multi-Instrumentalist und Sänger lässt seinen Gefühlen und Einfällen freien Lauf und verfolgt interessiert, wohin ihn das führt: „Bis auf wenige Ausnahmen sind alle PINHEAD-Songs aus dem Bauch heraus entstanden, ohne viel darüber nachzudenken“, verrät Ilja. „Dabei habe ich unter anderem bemerkt, dass ich das nicht alles alleine schaffen oder klanglich so umsetzen konnte, wie ich es mir erhofft hatte. Deshalb habe ich mir hier und da Hilfe geholt – beispielsweise von Hannes Kelch (Alligatoah, Hämatom), der für mich als Gitarren-Profi für ,Counterfate‘ schöne Akustikgitarren und Mandoline eingespielt hat. Besser, als ich das gekonnt hätte. Oder mein Freund „TobZen“, der mir bei der elektronischen Produktion von ,Lonefall‘ zur Seite stand und ganz andere Sounds ins Spiel brachte. Eine weitere Erkenntnis war, dass ich es am Ende ganz schön anstrengend fand, nahezu alles alleine einspielen, texten und singen zu müssen. Der gesamte Recording-Prozess hat sich deshalb über eine lange Zeit erstreckt, weshalb es immer schwieriger wurde, den Überblick zu behalten. Zudem gab es Songs wie ,Used Future‘, bei denen ich lange nicht wusste, was überhaupt aus ihnen werden soll und ewig mit den Arrangements und den Vocals gekämpft habe. Ich wusste nur, dass ich die Texte mochte, hatte aber monatelang keinerlei Gesangsideen dafür oder Pläne, wie die einzelnen Teile der Songs letzten Endes sinnvoll zusammenkleben würden. Außer mir war eben auch niemand da, der seine Meinung hätte äußern können. Die Entscheidungen mussten von mir alleine getroffen werden. Mit ,I I I‘ habe ich stilistisch lange gehadert und mich gefragt, ob dieses Stück nicht zu cheesy ausgefallen ist. Inzwischen ist es aber eines meiner Favoriten auf dem Album. Es war eine Reise im musikalischen Niemandsland. Dadurch, dass ich diese vielen komplexen Prozesse erfolgreich durchlaufen habe, weiß ich nun, was ich das nächste Mal anders machen werde. Da gibt es einiges. Geschmacklich bin ich nach dem Prozess aber auch nochmal gefestigter.“

Mit Blick auf den Songwriting-Prozess für PINHEAD bedeutet dies: „In der Vergangenheit habe ich schon komplexer anmutende Sachen geschrieben, oft mit Brutalität gepaart“, holt Ilja aus. „Das musikalische Höher-schneller-weiter interessiert mich im Moment nicht. Bei PINHEAD wollte ich, dass es darum eben nicht geht, sondern eine eingängigere Seite von mir gezeigt wird, ohne gleich Pop zu sein. Songs wie ,I I I‘, ,Used Future‘ oder ,Lesser Lights‘ sind komplex, auch wenn sie erst einmal nicht so wirken. Die geradlinigen Hooks verschleiern das. Die Komplexität ist hier jedoch eine andere. Es geht nicht primär um Gefrickel und Technik seitens der Instrumente oder möglichst viele Noten in möglichst kurzer Zeit. Deshalb spiele ich beispielsweise auch weitaus klassischere Sachen auf dem Bass, die die Songs dennoch komplett tragen müssen. Im Songwriting geht es mir darum, die Klanglandschaften zu priorisieren. Darum baut sich der Rest auf – Riffs und Rhythmik und all das Andere. Ob ein Stück komplexer oder technischer ausfällt, ordnet sich meistens diesem Anspruch unter. Da die Songs aber aus dem Bauch heraus entstehen, habe ich nicht immer den Überblick. Und manchmal verliert man auch die Kontrolle.“ 

Der Kuss der Muse

Dem zum Trotz klingt „Egomessiah“ jederzeit gut ausbalanciert, durchdacht und spannend. Ilja hat intuitiv also viel richtig gemacht. Seine Erfahrung mit vorwärts gerichteten, suchenden Sounds spielt sich auch bei PINHEAD aus: „Ich habe festgestellt, dass man mit einiger Distanz – und je größer diese wird – die Dinge und sein eigenes Werk anders betrachtet“, entgegnet der Künstler. „Manchmal ist es von Vorteil, wenn man hier und da die Möglichkeit hat, nochmal ranzugehen und sich zum Beispiel für eine andere Vocal-Melodie entscheidet oder einen Text doch nochmal umschreibt. Weil man den Kuss der Muse mitunter erst mit etwas Abstand wirklich spürt. Grundsätzlich denke ich aber, dass man zu jeder beliebigen Zeit nun einmal die Songs schreibt, die aus einem herauswollen. Deshalb ist es meiner Meinung nach nicht von Vorteil, sich Äonen bei der Fertigstellung zu lassen. Gute Dinge können auch in kürzester Zeit und unter Spontanität entstehen. Je nachdem, wann man sich wieder einklinkt, wird es immer anders werden. Dabei ist ein Song aber auch eine Erinnerung an einen bestimmten Zeitpunkt. Es ist schwierig, doch meistens fühlt man es einfach.“ Apropos Kuss der Muse: PINHEAD darf als weiteres Beispiel dafür gelten, dass zwischen Rock und Metal weiterhin viel innovatives Potenzial schlummert. Entscheidend ist, dass Künstler und Bands Konventionen brechen und neue Ausdrucksformen suchen:

Ich finde es spannend, dass die Genres sich inzwischen untereinander so verzahnen, dass es egal geworden ist, was da genau womit nun vermischt wurde“, sagt Ilja. „Heutzutage darf man alles. In der Kunst gibt es keine Verbote. Bei Zeal & Ardor oder Sleep Token vermischen sich Soul- und Indie-Gesänge mit tiefgestimmtem Metal und futuristischen Synthie-Klanglandschaften, die an Filmmusik angelehnt sind. Vor allem der Gesangsaspekt wäre in der Metal-Community früher wahrscheinlich belächelt worden. Poppy ist musikalisch sowieso überall unterwegs und Electric Callboy machen Party-esquen Techno-Metal, wenn man das so nennen kann. All diese Bands setzen gleichzeitig aber auch bildlich auf eine passende Ästhetik. Eine, die ihre Kunst gut repräsentiert. Sie alle spielen damit, lassen für die Fans aber genug Interpretationsspielraum. Manche werden zu Figuren, die man nicht durchschauen kann (Poppy, Vessel). Das finde ich ziemlich spannend. Bei PINHEAD hat sich die äußere Ästhetik inzwischen komplett verändert sowie mein eigener Geschmack, was meine Songs anbetrifft. Ich habe viel experimentiert und bin in viele Richtungen ausgeufert – alles Teil des Prozesses der Selbstfindung, was auch wichtig für „Egomessiah“ war. Inzwischen weiß ich, wohin ich musikalisch möchte, welche musikalischen Kombinationen mir noch stärker liegen und wie ich sie weiter ausbauen kann. Im Moment interessiert mich dunkler, härter und straighter.“

Für Ilja zahlt sich der kreative Alleingang aus: „Der gesamte Entstehungsprozess dieses Albums hat mich eine lange Zeit begleitet und wurde zu einer Art gnadenloser Erkundung der Schönheit und des Schreckens meiner eigenen Individuation“, stellt der Multi-Instrumentalist und Sänger fest. „Am Tiefpunkt anzukommen, ist keine angenehme Erfahrung. Und den ganzen Weg über war ich auf der Suche nach jemandem – einem Erlöser oder einem Messias. Nur, um am Ende festzustellen, dass es ihn nicht gibt. Die Lieder des Albums sind so etwas wie die Geister meiner Vergangenheit. Sie erzählen die Geschichte, wie ich zu dem wurde, der ich heute bin. Am Ende hat die natürliche Entwicklung der Dinge zu diesem Album geführt. Am Anfang wusste ich ja weder, wie es werden würde, noch welche Inhalte das Album am Ende bestimmen würden. Jetzt verstehe ich, was mich hierher geführt hat. Wenn ich mit einem neuen Schreibprozess starten würde, so wäre das von einem ganz anderen Standpunkt aus. Es überrascht mich tatsächlich, dass ich in so viele Richtungen ausgeufert bin. Das ist etwas, was für andere anstrengend sein könnte, sich für mich jedoch ganz natürlich anfühlte. Das war so nicht geplant, ist im Prozess aber einfach passiert. Musikalisch bin ich vielen Strömungen gegenüber offen und schätze die Diversität. Für die Zukunft kann ich mir aber vorstellen, etwas homogener zu bleiben und noch mehr auf eine Klangfarbe einzuhämmern oder diese stärker zu erkunden. Gesanglich habe ich mich nochmal anders entwickelt und bin im Prozess des Songwriting und der Produktion noch erwachsener geworden. Das nächste Werk wird sicherlich ein ganz anderes, dunkles Ding.“

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Picture credit: Christoph Eisenmenger