Die Songs der Band aus Litauen drücken vor allem Unruhe, Schikane, Wut und Frustration aus. Gepaart mit einem Titel wie „Savigaila“ (Selbstmitleid) muss es auf dem Zweitwerk von ERDVE so roh und drückend zugehen, wie es der Fall ist. Elemente zwischen Blackened Hardcore, Chaos, Noise, Sludge und Post-Metal verbinden sich zu einer unheilvollen, intensiven Mischung.
„In den frühen Tagen der Entwicklung von ERDVE haben wir die Idee geboren, dass es sich nicht nur um ein temporäres Projekt handeln, sondern die Band mindestens 20 Jahre lang existieren soll“, führt Bassist Krizas zum Selbstverständnis der Musiker aus. „Diese Vorgabe haben wir bis heute nicht aufgegeben. Von Anfang an hat sich alles sehr organisch entwickelt. Die Arbeit an dieser Gruppe hat unterschiedliche, aber gleichzeitig auch sehr ähnliche Individuen zusammengebracht, die diesen Sound verstehen und für sich ausgesucht haben. Die Bewertung unserer Vergangenheit, aber auch der Gegenwart, beinhaltet ein Gefühl der Zuversicht. Wir erkennen, in welche Richtung wir uns bewegen, und wissen, dass es noch viel zu sagen gibt. ERDVE ist ein lebendiger Organismus, der wächst und sich verändert, der sich erweitert und entdeckt.“ Mitglieder von Nyksta, Sraiges Efektas und Spirale habe die Gruppe 2016 aus der Taufe gehoben und ganz bewusst für einen intensiven Stil-Mix entschieden:
„Wenn wir den Regeln des einen oder anderen Genres folgen würden, könnte das Wesen von ERDVE vielleicht verzerrt werden“, meint der Bassist. „Doch wir verzichten weder auf die Freiheit der Kreation noch die der eigenen Interpretationen oder des Suchens. Die Gründung dieser Band wurde nicht von der Notwendigkeit oder dem Wunsch beeinflusst, die Traditionen von jemandem und etwas fortzusetzen. Es liegt nicht in unserer Natur, dem Kanon zu folgen oder über etwas zu schreien, was uns nicht wichtig ist.“ Dass das unstete, direkt adressierte Treiben von ERDVE extrem anmutet, ist für Krizas kein Selbstzweck: „Extreme Musik per se ist ein weit gefasster Begriff. Meiner Auffassung nach hängt die Wahl der Hörer immer auch von der Tiefe der Musik – sowohl der extremen, aber nicht nur dieser –, ihres Unterhaltungswertes und der Geschwindigkeit der Abnutzung ab. Das sind Ansprüche, die allgemein gelten und für alle Interessengebiete heranzuziehen sind. Mir ist es wichtig, zu betonen, dass wir versuchen, nicht zu stagnieren und besondere Initiativen zu verwirklichen – etwa Konzerte in einer der größten Kirchen Litauens oder in Gefängnissen, aber auch die Umsetzung musikalisch-visueller Projekte. Die textliche Konzentration auf gesellschaftspolitische Themen und einschneidende persönliche Erfahrungen schüren unser Feuer und gießen emotionalen Schmutz durch unsere Musik.“ Das Trio aus Litauen, das sich u.a. auf eine Beeinflussung durch Blacklisted, Botch, Cult Leader, Cult Of Luna, Deadguy, Integrity, Jesus Piece und Integrity beruft, hat eine genaue Vorstellung bezüglich seiner Außenwirkung:
„Aus meiner Sicht bleibt der Klang von ERDVE trotz seiner verschiedenen Interpretationsformen stets eine feste Masse, wie bei einem Bild, das mit einem ölig-kräftigem Strich gemalt ist“, vergleicht es der Bassist. „Aber jede/r hört ERDVE anders. Für die einen ist es eine Menge Aggression, für die anderen nur ein Wort und für wieder andere steht es synonym mit Schmerz. Zu unserem ersten Album haben wir viele positive und inspirierende Rückmeldungen erhalten, die uns bestätigten, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Diejenigen, die versucht haben, uns nach dem ersten Album in eine bestimmte Schublade zu stecken, werden uns nach dem zweiten wahrscheinlich nicht mehr verstehen.“ Für ERDE gehört es mit dazu, sich immer wieder neu zu erfinden:
„Veränderungen finden ständig statt“, bestätigt Krizas. „Musiker und Bands erweitern ihre Grenzen, indem sie sich von den Genre-Klassikern wegbewegen. Diese Tendenzen lassen sich zumindest episodisch bei vielen Gruppen finden. Und auch bei uns stelle ich eine ähnliche Agenda fest. Der Versuch, die Feinheiten von bestimmten Genres zu verstehen und auf unsere eigene Art zu interpretieren und daraus das zu nehmen, was uns am Wichtigsten ist und am Meisten berührt, ist für uns der richtige Weg.“ Auf eine bestimmte Sub-Szene zielt das Trio aus Vilnius dabei nicht ab: „Wir haben ERDVE nie als Teil einer bestimmten Gemeinschaft positioniert“, so der Musiker. „Auf unseren Konzerten begegnen wir einem diversen Publikum, das ebenfalls nicht als Teil einer bestimmten sozialen Gruppe oder Subkultur zu beschreiben ist. Der Eindruck, dass wir gerade der Underground-Szene verhaftet sind, ist für mich darauf zurück zu führen, dass wir unsere Musik nicht der öffentlichen Tradition anpassen oder dem nachgehen, was gerade gängig ist. Doch wir entscheiden sorgfältig, wo wir auftreten oder wo nicht. Das hängt von den Werten ab, die in der Musik und den Texten transportiert werden.“
Mit Blick auf die Texte von ERDVE ergänzt der Bassist: „Underground-Musik ist oftmals die Stimme des Protests oder Widerstands gegen Unterdrückung und so weiter gewesen. Heute steht die westliche Kultur aber auch vor anderen Herausforderungen. Das Aufeinanderprallen der Kulturen und Werte stellt sich der Gesellschaft als solcher entgegen und fragmentiert sie. Einzelne Staaten und Gruppen sind sich nicht länger sicher, auf welcher Grundlage sie moralische Werte teilen. Individuen gehen dabei verloren, leiden unter inneren Einwänden und Konflikten. All das spiegeln wir mit unserer Musik wider. Doch sie ist mehr als nur ein innerer Dialog oder Konflikt als eine Stimme des Protests oder Widerstands.“