ERSHETU

Vergänglichkeit, Untergang, Totenkult, Religion, Spiritualität: Das sind einige der Themen oder Bereiche, die den Konzeptansatz von ERSHETU umreißen. Mehr als Ahnungen und Andeutungen transportieren sie allerdings nicht. Und genau darum geht es. Komponierte Filmscores werden als Metal-Songs inszeniert. Am Kopfkino-Wert der Post-Black Metal-Tracks ändert das nichts. Die Hörerschaft ist gefordert, die tief reichende Musikalität auf sich wirken zu lassen und einige Schlüsse zu ziehen. Das Debüt „Xibalba“ basiert auf der „Bibel der Maya“.

Der umrissene Ansatz erinnert offenkundig an Gone Is Gone, bei denen vor Jahren ebenfalls versierte Heavy-Musiker auf einen Filmscore-Komponisten getroffen sind und die gemeinsam komplex-progressive, vorwärts gerichtete und unkonventionelle Soundscapes erschaffen haben. Im Falle von ERSHETU verhält es sich ebenfalls so: „Es ist eine gute Sache und erfreulich, etwas Innovatives anbieten zu können“, gibt Projekt-Gründer Sacr zurück. „Neuartig ist vielleicht, dass wir Musik machen, die ursprünglich als Filmmusik gedacht und komponiert wurde, und dann die Gitarren, den Bass, das Schlagzeug und den Gesang daran anpassen. Das ist die ursprüngliche Idee, die Void und ich hatten, allerdings halte ich das nicht für visionär.“ Die beiden Triebfedern des Outlets sind Konzeptualist/Lyriker Void (von Debemur Morti) und Komponist Sacr, die sich das Outlet während der Corona-Lockdowns erdachten. An der Umsetzung sind zudem Sänger Lars Are Nedland (Borknagar und Solefald) sowie Gitarrist/Bassist Vindsval (Blut aus Nord und Forhist) beteiligt:

„Die Idee hinter ERSHETU ist in erster Linie, Filmmusik zu komponieren und sie an den Metal anzupassen“, bekräftigt Sacr. „In der Filmmusik sind die Möglichkeiten sprichwörtlich unendlich, was die Wahl der Instrumente, die Orchestrierung, die emotionalen Veränderungen und so weiter anbelangt. Als Film-Komponist und Metal-Fan ist ERSHETU eine echte Inspirationsquelle für mich.“ Jede Veröffentlichung wird einer anderen Kultur, Religion oder Epoche gewidmet sein, was sich auch auf das musikalische Antlitz der Band auswirken wird: „Das Schwierigste für mich ist, das Projekt überhaupt zu beginnen, weil es viel Energie, Engagement und Verfügbarkeit erfordert“, erzählt der Komponist. „Ich mag es nicht, an mehreren Projekten zur selben Zeit zu arbeiten. Dennoch schaffe ich es immer wieder, Ideen zu entwickeln, oder alte Musikstücke wieder auf zu greifen, die ich aus früheren Schreib-Sessions herausziehen kann, weil sie nicht verwendet worden sind. Bin ich erst einmal dabei, kommen die Dinge ganz natürlich und von selbst. So war es jedenfalls bei „Xibalba“. Void und ich haben 2020 angefangen, darüber zu sprechen. Das Album kommt aber erst dieses Jahr heraus.“ …und klingt ganz und gar nicht nach einer Kombination von Songs oder Ideen, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Schnell taucht man in die spirituell aufgeladenen und folkloristisch instrumentierten Songs sowie die zugrundeliegende Maya-Thematik ein: „Void und ich haben schon immer die dunkle, atmosphärische Seite des Black Metal geliebt“, kommentiert Sacr. „Spricht man über Tod, Spiritualität oder den Kult einer untergegangenen Zivilisation, ist es schwierig, musikalisch etwas Anderes zu machen. Das könnte sich aber je nach Thema weiterentwickeln. In bestimmten Religionen, Kulturen oder Philosophien ist der Tod nichts Negatives. Er kann ebenso gut als ein Übergang oder eine neue Etappe in der Ewigkeit des Lebens gesehen werden.“

Die situative oder individuelle Sichtweise entscheidet. So verhält es sich auch im Blick auf ERSHETU, die einen Folk-lastigen Post-Black Metal kultivieren, der aufgrund seiner Filmscore-Zentrierung stimmungsseitig viel zu bieten hat: „Wir haben festgelegt, dass unsere Musik cineastisch, orchestral und dunkel werden soll“, verrät Sacr. „Darauf setzt die Arbeit von Vindsval an der Sound-Identität auf. Was die Kompositionsphase betrifft, denke ich zuerst darüber nach, welche Art von Atmosphäre ich erzielen möchte. Langsamer Rhythmus, schneller Rhythmus, traurig, dunkel, wütend… Dann kommt alles ganz natürlich hinzu.“ Jenseits des definierten Projektansatzes nehmen sich die Beteiligten alle kreativen und ästhetischen Freiheiten: „Die Idee von Void ist es, den Tod durch die Augen verschiedener untergegangener Zivilisationen oder Religionen zu betrachten“, verdeutlicht der zweite Projektgründer. „Das passt besonders gut zur cineastischen Seite der Musik. Der Vorteil ist, dass man die Geschichte dieser Zivilisationen entdecken oder wiederentdecken kann und dabei viele faszinierende Dinge erfährt. In gewisser Hinsicht ist es aber auch viel Arbeit, denn – und damit kommen wir zum größten Nachteil – man kann sich keine Fehler erlauben.“ Dafür beschäftigen sich tatsächlich zu viele Menschen mit diesen Themenkomplexen. Die einhergehenden Unsicherheiten, Mythen oder Legenden bieten wiederum ausreichend Raum für eigene Interpretationen. In letzter Konsequenz repräsentiert „Xibalba“ universelle dunkle Musik:

„Ich würde nicht sagen, dass das ganze Album düster ist“, kontert Sacr. „Was die Kompositionen anbelangt, versuche ich, mir keine Grenzen zu setzen. Die Tatsache, dass ich in der Film-Industrie arbeite, hat viel damit zu tun. Und das von Void vorgeschlagene Konzept inspiriert mich wirklich sehr.“ Der Musiker beschäftigt sich bereits eingehend damit, was er aus der Entstehungsgeschichte des ersten Albums für dessen Nachfolger ableiten kann und ob ist Arbeitsweise gegebenenfalls zu adaptieren ist: „Im Allgemeinen ziehe ich das Gefühl der Technik vor“, reflektiert Sacr. „Obwohl ich zugeben muss, dass ich dazu neige, bei mir selbst ein Perfektionist zu sein. Ich weiß nicht, ob ich mich von diesem oder jenem abhalten sollte, und denke, man sollte nicht zu viel kalkulieren und stattdessen die Inspiration zu sich kommen lassen. Stellt man sich zu viele Fragen, ist es schwierig, voranzukommen. Dann ist es, als ob man die Dinge in sich behält, anstatt sie heraus zu lassen oder auszusprechen. Das ist dann nicht gut. Erst, wenn alles zusammenkommt, ist es ein Ganzes. Ich arbeite ja nicht alleine. Das Interessante an dieser Band ist für mich, dass wir alle aus der Ferne gearbeitet haben und vor allem, dass wir uns gegenseitig die Freiheit gelassen haben, unsere Kunst individuell auszudrücken. Das ist es, was unserem Debüt diesen nuancierten Reichtum verleiht. Wir sind hier, um zu bleiben. Musikalisch gesehen sind die Drums von Intza Roca eine fabelhafte Ergänzung zu dem Dschungel, den „Xibalba“ darstellt. Ganz zu schweigen von Lars’ Gesang.“

Der Franzose stellt bezüglich seiner eigenen Leistung und der Güte seiner Kompositionen bewusst Distanz her: „Das ist für mich essentiell“, bestätigt er. „Wenn ich mir sage „Das war es für diesen Track.“, lasse ich ihn eine Woche liegen und höre ihn mir dann noch einmal an. Gefällt er mir immer noch, schicke ich ihn an Void mit der Bitte um Feedback. Wenn nicht, überarbeite ich ihn. Abstand ist eine wichtige Sache. Als das Album aus dem Mastering kam, habe ich mir absichtlich eine Weile Zeit gelassen, bevor ich es mir noch einmal angehört habe. Ich wollte ein so neutrales Ohr wie möglich haben und glaube, das war bei den übrigen Mitgliedern von ERSHETU ganz genauso.“ In diesen Worten drückt sich bereits das aus, was Sacr als Essenz der Band anführt: „Aus meiner Sicht ist es das Loslassen“, so der Komponist. „Mit anderen Worten, sich in der Komposition und den Arrangements nicht einzuschränken, ohne experimentell zu sein. Gleichzeitig sollte man seiner Kreativität keine Grenzen setzen.“

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