Die Franzosen touren gemeinhin mit Gruppen wie The Faceless, Obscura oder Archspire und veröffentlichen via Unique Leader. Für eine modern-extreme Tech-Death-Gruppe wie EXOCRINE geht kaum mehr. Das Quartett aus Bordeaux legt nun mit „The Hybrid Suns“ ein Album auf, dass eine weiter ansteigende Formkurve belegt und der Band zu noch mehr Relevanz verhilft.
„Wenn ich mich auf das verlasse, was ich während unserer Shows sehe und aus den Gesprächen mit unserem Publikum über die Wirkung unserer Band und Musik mitnehme, dann ist das absolut wahr“, erwidert Frontmann und Bassist Jordy auf die Frage, ob der Nerd-Faktor nicht gerade bei Gruppen wie EXOCRINE und unter ihren Fans enorm stark ausgeprägt ist. „Wir alle sind auf die eine oder andere Art und Weise Nerds – ob nun mit Blick auf die Musik oder auch Video-Spiele, Kino oder Wissenschaft. In der Musik gilt dies für mich beim Metal schon ganz allgemein, doch umso mehr für Prog- und Tech-Bands. Das lässt sich schon an den Artworks und Konzepten der Alben ablesen. Sci-Fi und Nerd-Zeug sind im Metal allgegenwärtig. Das spiegelt sich in der Musik durch die Technik und das komplexe Songwriting wider. Die Universen sind riesig und komplex.“
So lässt sich auch das Wesen des fünften Longplayers der Franzosen umreißen: „Auf den ersten Blick verstehe ich, warum einige Leute denken, dass dieser Stil nicht einfach zu hören ist“, zeigt sich Jordy verständnisvoll. „Metal-Musik ist bereits ein extremes Genre und Technical Death Metal ist mit anderen Sub-Genres am äußersten Ende davon angesiedelt – am äußersten Ende des Extremen. Doch wenn man sich an die Geschwindigkeit, die Brutalität und die Tech-Parts gewöhnt hat, kann man die Feinheiten dahinter erkennen. Wer bereits brutalen Death oder Grindcore gehört hat, für den wird es nicht schwer sein, den Sprung zu uns zu schaffen. Das beweist sich auch in der Realität. Wir können seit einigen Jahren beobachten, dass Tech-Death immer populärer wird. Und es scheint auch so zu sein, dass andere Genres mehr „Tech“ werden, wie zum Beispiel der Deathcore. Es geht sogar in beide Richtungen, denn Tech-Bands zeigen meiner Meinung nach heute vielfältigere Einflüsse als früher. Insgesamt beobachte ich, dass immer mehr Leute aus anderen musikalischen Bereichen anfangen, Tech-Death zu schätzen. Das gefällt mir.“
Wie der Bassist und Shouter die Wirkung von EXOCRINE umschreibt, überrascht indes: „Für mich klingen wir brutal und schnell, aber mit einem wichtigen melodischen Teil. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, aber irgendjemand sprach davon, dass unsere Songs wie Filmmusik klingen. Das ist eines der Dinge, die wir durch unsere Musik vermitteln wollen – eine Geschichte und ein Universum durch melodische Teile, aber auch brutale, technische und schnelle Action-Szenen.“ Angesichts all der präzisen Frickeleien, der häufigen Geschwindigkeits-, Richtungs- oder Komplexitätswechsel und der vielfältigen Überraschungen, die „The Hybrid Suns“ bietet, sind immer neue Adrenalinschübe garantiert: „Das ist absolut gewollt“, gibt Jordy zu. „Für unser fünftes Album wollten wir etwas Komplexeres machen. Das ist etwas, das wir schon seit einigen Alben vorbereitet haben. Nach all der Zeit zögern wir nun nicht mehr, mitunter technische Aspekte für etwas Eingängigeres zu opfern, wenn es angemessener ist. Sylvain als unser Gitarrist und Hauptkomponist hat dabei immer ein besonderes Augenmerk auf den Kontrast. Wir stellen uns gerne vor, dass die Menschen manchmal das Bedürfnis haben, kurz durch zu schnaufen. Der Kontrast dient aber stets auch der Erzählung. Unser einziges Limit im Songwriting ist es, dass jeder Song spielbar sein muss, denn einen Bearbeitungsmissbrauch schließen wir aus.“
Tech-Death zum Selbstzweck gibt es von EXOCRINE also nicht. Mit „The Hybrid Suns“ erscheint wiederum ein Konzept, das Wahnwitz, Tollkühnheit und Grenzerfahrungen inkludiert und einen zusammengehörigen Wirkungsraum aufspannt: „Wir wollen in jedem Song eine Geschichte erzählen“, stellt Jordy klar. „Seit „Ascension“ haben wir stets Konzeptalben veröffentlicht, also müssen die Songs miteinander verbunden sein. Ich schreibe die Texte nach dem instrumentalen Komponieren. Doch schon bevor der eigentliche Kompositionsprozess beginnt, kennen wir jedes Szenario innerhalb der Songs. So können wir jeden Song abwechslungsreich gestalten und dafür sorgen, dass Musik und Dramaturgie optimal zueinander passen. Natürlich geht das in beide Richtungen. Der instrumentale Teil beeinflusst die Texte und die Art und Weise, wie wir die Geschichte erzählen. Für unser fünftes Album wollten wir etwas Überraschendes. Etwas, das wir bereits am Ende unseres vorherigen Albums begonnen haben und das alles miteinander verbindet. Es handelt von einer Person, die auf der Ebene des Universums Ungerechtigkeit und Missbrauch bekämpfen will. Diese Person macht eine Reise durch verschiedene Welten, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Die Zeitlinie ist komplex und wie bei all unseren Alben sind es alle Songs, die die Geschichte bilden. Dieses Mal sind wir dabei noch weiter gegangen. Das Artwork spielt dabei eine wichtige Rolle, weil es ebenfalls die Fantasie beflügelt.“