HEAVEN SHALL BURN

Die Live-Pause ist vorbei. HEAVEN SHALL BURN melden sich lautstark und Sound-gewaltig auf den Bühnen zurück. Zunächst steht aber die Veröffentlichung des randvollen Doppel-Albums „Of Truth And Sacrifice“ auf dem Plan. Für Cineasten kommt zudem die Band-Doku „Mein grünes Herz in dunklen Zeiten“ rund um die Entstehungsgeschichte des Werks und die MeloDeathCore’r aus Thüringen ganz allgemein in ausgewählte Kinos. Das ist mal ein Comeback!

Der neunte Longplayer des Quintetts deckt in seiner kreativen und textlich-kritischen Gesamtheit sowohl die bisherige Karriere von HEAVEN SHALL BURN ab als er auch Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft aufzeigt. Lyrisch scheint „Of Truth And Sacrifice“ sehr deutlich die von den Musikern propagierte Bedeutung ihres Band-Namens aufzugreifen, nach der „ein falsches Paradies in den Köpfen von Menschen zerstört werden muss“. Woran man sich so alles erinnert, wenn man sich nach einiger Zeit wieder mit einer Gruppe beschäftigt: „Das ist zumindest immer noch die Darstellung, die ich gebe, wenn jemand nach der Bedeutung unseres Namens fragt“, bestätigt Gitarrist Maik Weichert. „Es ist mir immer wichtig, klarzustellen, dass das nicht irgendwie satanisch motiviert ist, sondern den Fokus voll und ganz darauf richtet, dass die Leute die Augen öffnen sollen, um ihren falschen Himmel verbrennen zu können. Das war jedenfalls das, was wir uns damals ausgedacht haben und da hat sich für uns eigentlich auch nichts dran geändert. Natürlich ist mit der Zeit auch eine gewisse religiöse Komponente mit dazu gekommen. Wenn man älter wird, bekommt man ja immer wieder mit, welche Kacke verschiedene Glaubensgemeinschaften vom Stapel lassen. Der synodale Weg der katholischen Kirche ist da nur ein ganz aktuelles Beispiel, der für die Täter von Missbrauch leider nicht ins Gefängnis führen wird. Solche Sachen verbreitern die Dimension und spielen da inzwischen ebenfalls mit hinein. Grundsätzlich passt die Auslegung für mich aber nach wie vor. Die anderen aus der Band würden da sicherlich dasselbe antworten.“

Den Titel des Comeback-Werks grenzt der Musiker dann aber doch noch ab: „Es ist gar nicht so sehr als Statement gemeint, sondern vielmehr beschreibend für das Verhältnis von Wahrheit und was man dafür opfert oder zu opfern bereit ist. Manche Leute opfern die Wahrheit, um ein normales Leben weiterführen zu können. In diese Kategorie fällt für mich so etwas wie „Fridays for Hubraum“. Weil ich mich nicht von meinem Auto trennen will, verleugne ich den Klimawandel und mache so weiter, wie immer. Andererseits opfern viele andere Leute einen Teil ihres Lebens oder sogar ihr wahrhaftiges Leben für die Wahrheit. Wenn man beispielsweise an Journalisten denkt, die umgebracht werden, weil sie über bestimmte Themen berichten, die irgendwelchen Herrschenden oder anderen Gruppen nicht genehm sind. Oder Lehrer in Afrika, die Mädchen und Frauen Bildung näherbringen wollen und deshalb von religiösen Fanatikern ermordet werden. Das möchte ich mit dem Titel in möglichst vielen Facetten beleuchten. Der Hintergrund von „Of Truth And Sacrifice“ spielt auf das Verhältnis von Wahrheit und Opferbereitschaft an.“

Das skizzierte Spannungsfeld ist eine Frage von Werten, Perspektive und Mut, aber auch der Orte und Umstände, in denen man lebt: „Global gesehen, geht es bei uns in Europa den meisten Leuten wirklich gut, auch wenn das vielen gar nicht bewusst ist“, nimmt Maik den Faden auf. „Wenn man hier auf der Nordhalbkugel und vielleicht sogar in Deutschland geboren ist, hat man global gesehen schon so etwas wir einen Sechser im Lotto. Das ist schon klar, doch ich glaube auch, dass es vielen Leuten schlechter geht, als wir eigentlich meinen und wahrhaben wollen. Insoweit habe ich schon den Glauben an die menschliche Rasse verloren, dass sie in einer Gemeinschaft vernunftbegabt ist und dass man aus jedem Menschen einen vernunftbegabten, nach Harmonie strebenden Menschen machen kann. So funktionieren die meisten Menschen leider nicht. Sie funktionieren stattdessen so, dass sie nur dann keine Scheiße bauen, wenn sie keine Angst haben. Heutzutage haben leider viel zu viele Menschen Angst um ihre Existenz und darum, wie es mit ihrem Leben weitergeht. Sie fürchten um ihren Job, ihre Rente und ihre Zukunft. Diese Angst wird ihnen von den verantwortlichen Eliten leider nicht mehr genommen. Und dann fangen sie an, Scheiße zu bauen – zum Beispiel an der Wahlurne. Sie fangen an, sich einfache Erklärungen zu stricken und wählen dann genau die Parteien, die einfache Erklärungen liefern. Das zeigt für mich, dass es Vielen zu schlecht geht, weil für sie nicht gesorgt wird von denen, die das für sie eigentlich tun müssten. Die AfD würde von den Altparteien sprechen. Und dann fallen die Leute eben auf solche Scharlatane wie die AfD herein oder auf irgendwelche Leute, die leugnen, dass der Klimawandel vom Menschen beeinflusst ist und Ähnliches. Das sind die einfachen Erklärungen, die ich meinte. Wenn es den Leuten besser ginge und sie sich den Luxus leisten könnten, vernünftig nachzudenken und vernünftige Lösungen zu suchen, wäre das einfacher als in diesem stress- und angstgetriebenen Alltag, in dem die Leute gefangen sind. Ich will das nicht verharmlosen oder entschuldigen. Und natürlich ist den Leuten auch nicht bewusst, wie es ihnen gehen würde, wenn sie Bangladesch oder Nigeria leben würden, aber darüber spreche ich hier nicht.“

HEAVEN SHALL BURN sind dafür bekannt, sich einzumischen und politisch Stellung zu beziehen. Unter dem Motto „Keine Böcke auf Höcke!“ haben sie zuletzt eine tolle Aktion umgesetzt: „Also ganz ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, dass die AfD da selbst mehr darauf einsteigt, doch aus der Ecke kam eigentlich fast gar nichts“, erzählt der in Weimar lebende Gitarrist. „Hasskommentare und Anfeindungen haben sich auch sehr in Grenzen gehalten. Stattdessen hat es ein wahnsinnig großes, positives Feedback gegeben von Leuten, die das cool finden, auch wenn sie nicht zwangsläufig so anti-AfD eingestellt sind. Doch gerade solche Leute finden das sehr erfrischend. Genau dafür machen wir so etwas ja. Das ist mal eine Gegenaktion ohne den sonst typischen, moralinsauren Zeigefinger, sondern mehr etwas Augenzwinkerndes, über das man auch lachen kann. Ich freue mich darüber, dass das gerade bei vielen neutralen Leuten so gut ankommt. Bei der Anti-AfD-Fraktion sowieso, das ist klar, aber auch das Feedback von vielen neutralen Leuten hat mich wirklich gefreut, weil ich dadurch gesehen habe, dass es sie zum Nachdenken angeregt hat. Es ist wichtig, dass man die Leute mal zum Grinsen kriegt. Dass im Gegenprotest auch mal etwas Esprit mit drin ist und nicht immer nur dieses moralisch-verbitterte Gutmenschentum, das einem immer auch gleich wieder vorgehalten werden kann. Neben Esprit und Witz schwingt dem Ganzen zudem auch Lebensmut mit. Dass auch noch mit einem satanischen Ziegenkopf zu verbinden, ist doch großartig. Das kam wirklich gut an.“

Auf Facebook haben HEAVEN SHALL BURN die Zeitungs-Schlagzeile „Zecken in Thüringen wieder aktiv“ gepostet, was zeitlich ungefähr mit der Ankündigung ihres Comebacks einherging: „Es war von Anfang an der Plan, dass wir in Ruhe erst einmal ein neues Album schreiben wollten und wir dann, wenn wir ernsthaft beim Aufnehmen sind, uns überlegen, wenn wir die Platte veröffentlichen wollen“, gibt Maik zu den Band-internen Plänen ihrer Rückkehr Auskunft: „Das lag auch daran, weil wir keine feste Deadline im Nacken haben wollen. Es war ja auch nie so ganz klar, ob wir zwei oder drei Jahre Pause machen wollten. Als dann aber die erste Festival-Saison ohne uns stattgefunden hat und wir in den sozialen Medien alle unsere Kumpels mit ihren Backstage- und Party-Postings gesehen haben, war es für uns schon irgendwie schwer, da überhaupt nicht mit dabei zu sein. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass es schwierig für uns ist, die Füße still zu halten. Jetzt waren wir trotzdem zwei Jahre lang nicht mehr auf einer Bühne. Das ist schon krass, wenn man das so Revue passieren lässt. Wir sind unheimlich froh, dass es wieder los geht. Zwischendurch haben wir aber immer mal wieder etwas von uns hören lassen. Es ist ja nicht so, dass wir unsere Social Media-Accounts gelöscht hätten und überhaupt nicht mehr sichtbar waren. Nur live gab es uns eben nicht mehr, doch für uns das ist gut gewesen. Jetzt sind wir nur noch heißer.“

2018 haben die Thüringer öffentlich recht vehement verkündet, dass sie sich live vorerst zurückziehen werden: „Da haben vor allem kommerzielle Gedanken mit hineingespielt“, klärt der Musiker über die Hintergründe auf. „Wenn du ankündigst, dass das Impericon-Fest die letzte Show vor einer längeren Pause ist, wissen die Leute es dann auch. Die Fans sollten ja darüber informiert sein, dass wir auf unbestimmte Zeit von der Bildfläche verschwinden würden und von uns zunächst nichts zu erwarten ist. Damit war auch klar, dass wir nicht jede Woche etwas Neues auf Facebook oder Instagram posten würden. Neben der Information waren die kommerziellen Gründe aber genauso wichtig. Und bei uns war ja klar, dass wir nicht eine Abschieds-Tournee ankündigen und dann 15 Jahre weiterspielen, wie es die Scorpions gefühlt getan haben. Das wäre uns zu blöd. Unsere Live-Pause wollten wir aber ankündigen.“ Maik ist der Abschied von der Bühne gleich doppelt schwergefallen:

„Für mich war das besonders emotional, weil ich die vorherige Tour aufgrund einer ziemlich üblen Infektion am Rücken gar nicht mitfahren konnte. Ich lag einen Monat im Krankenhaus und war gerade mal so wieder fit, um dort dann mitzuspielen. Deshalb war das für mich schon eine große Sache und stand für mich persönlich im Vordergrund. Weniger wichtig war die Tatsache, dass es das letzte große Konzert vor der Pause ist. Auch bei den anderen Jungs habe ich es nicht so empfunden, als wenn das ein Zieleinlauf gewesen wäre. Wir funktionieren ja nicht so, dass wir 300 Konzerte im Jahr spielen und dann froh sind, endlich mal wieder nach Hause zu kommen. Es ist gewöhnlich eher so, dass wir von zu Hause zu den einzelnen Konzerten und Festivals fahren. Insofern hatten wir weder ein Streckengefühl noch hat sich für uns ein Zyklus geschlossen, weil wir die letzte Show einer Tour gespielt haben. Danach ist von uns auch niemand in ein tiefes Loch gefallen, nur, weil wir nicht mehr getourt sind. Wenn ich sonntags von Konzerten komme, gehe ich gleich dienstags wieder zum Volleyball und dann freuen sich meine Jungs dort ganz genauso, mich zu sehen. Und Molle (Gesang) geht zum Fußball. Wir alle haben ja noch unsere normalen Leben neben der Band. Es war wirklich in erster Linie eine Live-Pause, was für eine Band heutzutage sehr ungewöhnlich ist, weil Konzerte die Haupteinnahmequelle geworden sind. Zwei Jahre gar nicht stattzufinden, ist da schon relativ mutig gewesen.“

Die Zeit anders zu füllen, ist dem Musiker nicht schwergefallen: „Es war natürlich cool“, gibt er zu. „Meine Frau konnte mich einen Sommer lang auf jede Hochzeit und alle Familienfeiern mitschleppen, ohne dass ich ständig wegen irgendwelcher Festival-Termine nicht mitgehen konnte. Die ganze Zeit mit der Familie verbringen zu können, ist schon toll. Und das Arbeiten an neuem Material, ohne dass du Deadlines im Hinterkopf hast, ist auch anders. Ich musste nicht ständig im Kopf durchplanen, mit welchem Equipment ich überhaupt aufnehmen kann, weil wir es für eine Show hier oder dort eingeplant haben, und musste das Studio auch nicht mehrmals aufbauen. Ich konnte mich auf eine Sache konzentrieren. Das war schon sehr angenehm.“

Für die Öffentlichkeit ist es eine doppelte Auszeit gewesen – sowohl was Konzerte als auch frische Songs anbelangt. Der Backkatalog der Thüringer umfasst zwar acht Longplayer und weitere MCDs, doch die Veröffentlichung des letzten Albums „Wanderer“ datiert aus 2016. Dann aber stand plötzlich das Video zur Doppel-Single „Protector/Weakness Leaving My Heart“ online, womit das Quintett auch in die Anlage des Doppel-Albums „Of Truth And Sacrifice“ einführt: „Bevor wir die beiden Videos abgeschossen haben, haben wir uns natürlich gefragt, wie viele Leute wir zwischenzeitlich wohl verloren haben, weil das musikalische Fan-Leben der Leute weitergegangen ist und sie HEAVEN SHALL BURN vergessen haben“, gibt der Gitarrist zu. „Nun haben wir aber schon das Gefühl, dass die Leute sehr ausgehungert waren und froh sind, wieder etwas von uns zu hören. Zu den beiden Songs haben wir ein supergutes Feedback bekommen. Die Pause scheint gar keine so große Rolle gespielt zu haben, wie wir es befürchtet haben. Für die Leute sind zwei Jahre gar nicht so viel – zumindest in Deutschland. In Großbritannien hast du da eher schon vier neue Trends durchgehetzt, doch hier bleibt man treu. Wir haben jetzt diese beiden Songs veröffentlicht, weil wir viel mehr Facetten unserer Musik zeigen wollten. Hätten wir jetzt wieder einen typischen HEAVEN SHALL BURN-Kracher genommen, schon tausend Mal gehört, wären unsere Fans zwar voll zufrieden und happy gewesen, aber du machst dann auch keinen Schritt nach vorne, um neue Leute anzusprechen. Die neuen Impulse sind uns wichtig. Deshalb gibt es auf der neuen Platte ja so viele Facetten. Vom Musik-Geschmack her ist das so ein musikalisches Welttheater. Da wäre es viel zu eindimensional, nur einzelne Songs zu veröffentlichen. Das Geile an HEAVEN SHALL BURN ist ja, dass der eine Song wie At The Gates klingt, der andere wie Napalm Death und der nächste eher wie Paradise Lost. Und dann kommen noch Earth Crisis und Slayer vorbei. Das ist für mich das Coole. Nicht, dass nur ein Song ein tolles Kunstwerk oder Gefrickel ist. Dazu gesellen sich dann noch die Aussagen und politischen Statements. Da sind zwei Songs und Alben dann wirklich besser als einer bzw. eins, um das zu vermitteln, was uns auf dem Herzen liegt.“

Dass der Umfang des Comeback-Werks größer werden würde, hat sich für die Thüringer alsbald abgezeichnet, als sie die Arbeit aufgenommen haben. In den mit „Of Truth“ bzw. „Of Sacrifice“ betitelten Teilen stehen mal die MeloDeathCore-Trademarks des Quintetts im Mittelpunkt, mal geht es stilistisch progressiv zu: „Wir haben wirklich schon sehr früh gemerkt, dass mit acht oder neun Songs nicht alles gesagt sein wird“, bestätigt Maik. „Außerdem wollten wir viel ausprobieren. Das war schon klar, noch bevor die ersten drei oder vier Songs geschrieben waren. Wir wollten es einfach nicht begrenzen. Das hat auch nichts mit nicht können zu tun, sondern wir wollten es einfach nicht. Unsere Vision für „Of Truth And Sacrifice“ war es, dass wir uns den Freiraum für Experimente lassen wollten. Wenn man die Platte durchhört, wird man merken, dass da genug Songs drauf sind, um eine geile, normale HEAVEN SHALL BURN-Platte zu füllen. Die andere Hälfte ist aber schon ziemlich experimentell. Und das war von Anfang an die Ansage. Wir wollten ohne Denkverbote drauf los schreiben und auch Songs mitnehmen, die wir auf einer Platte mit nur acht Songs am Ende dann wohl doch nicht genommen hätten, weil das Bild sonst verzerrt worden wäre. Auf einem Doppel-Album ist das viel einfacher, weil man genug Material hat, das den Kern der Band ausmacht, aber man diesen Kern noch viel besser um Experimente erweitern kann. Gleich, nachdem wir gemerkt haben, dass sich so viel Kreativität angesammelt hat in der Pause, wussten wir, dass wir all das unbedingt rauslassen müssen.“

Irgendwann hat das Ganze dann aber doch Struktur erhalten: „Ab einer gewissen Stelle muss es natürlich Druck geben, weil man Studios und Mixen und Mastering gebucht hat“, so der Thüringer. „Das sind dann Termine, zu denen alles fertig sein muss. Aber für den Prozess davor war es wirklich cool, ohne Deadlines und völlig frei zu arbeiten. Auf das Songschreiben freut man sich ja auch. Die Band ist unser Hobby, immer noch, auch wenn es zeitlich völlig aus den Fugen geraten ist. Das ist dann nichts, was man vor sich herschiebt, sondern etwas, auf das man sich freut.“ Zumindest im Moment sucht der Gitarrist aber Abstand: „Derzeit kann ich mir das Album nicht anhören. Nicht, weil es mir nicht gefällt, doch es würde mir einfach nichts bringen. Ich würde nur auf Details achten, aber nicht die Songs hören. Dafür gibt es auch zu viel coole Musik, die ich noch nicht gehört habe. In einem viertel Jahr werde ich es bestimmt wieder häufiger hören. Eine Ausnahme sind lediglich die Listening-Sessions, auf denen ich die Songs anderen Leuten vorspiele. Das ist aber nicht mit dem privaten Hören vergleichbar, denn dann auf solchen Sessions hörst du die eigene Musik komplett auf Abstand. Dann bist du plötzlich ein ganz objektiver Zuhörer und es kommt dir dann nicht einmal mehr wie deine eigene Musik vor.“

HEAVEN SHALL BURN veröffentlichen nicht nur ihr neuntes Album. Mittels der 80-minütigen Dokumentation „Mein grünes Herz in dunklen Zeiten“ können Fans flankierend noch mehr über die Motivationslage und Einstellungen des Quintetts sowie die Entstehungsgeschichte von „Of Truth And Sacrifice“ erfahren. Und dieses Mal handelt es sich um eine ernsthafte Dokumentation, die noch dazu in ausgewählten Kinos zu sehen sein wird: „Das stimmt, und sie wird ähnlich sein, wie die Parkway Drive-Dokumentation, die man gerade sehen kann,“ erzählt Maik. „Ingo Schmoll hat uns ein ganzes Jahr begleitet. Die Grundidee der Dokus war es, am Entstehungsprozess der neuen Platte klar zu machen, was wir für eine Band sind, wie wir als Menschen ticken, wo wir herkommen und wie das in Thüringen so ist. Gerade in letzter Zeit wird ja häufig hinterfragt, wie der gemeine Ossi eigentlich tickt, dass da solche Wahlergebnisse stattfinden. Wir beleuchten, wie es war, in den Neubaugebieten neben Faschos aufzuwachsen und dort zur Schule zu gehen. Der Erzählrahmen ist im Kern aber der Entstehungsprozess der Platte. „Mein grünes Herz“ spielt sehr offensichtlich auf Thüringen an.  Die „dunklen Zeiten“ deuten an, dass aus unserer Sicht nicht alles in Ordnung ist. Wir kommentieren das aktuelle Zeitgeschehen nicht direkt, aber vielleicht versteht man dann doch etwas besser, was hier im Osten los ist und warum HEAVEN SHALL BURN so sind, wie sie sind. Das steht im Zentrum, und da kommt wirklich auch viel rüber.“ Damit, dass seine Band oftmals nach wie vor als Metal-Aushängeschild aus dem Osten stilisiert wird, stört Maik Weichert nicht. Er ist heimatverbunden und steht zu seiner Herkunft:

„Das prägt uns natürlich, was man gerade in der Zusammenarbeit mit anderen, insbesondere jüngeren, vor allem amerikanischen Bands bemerkt“, leitet der Gitarrist ein. „Das beginnt schon damit, dass wir kein Problem mit Nacktheit haben. Gerade auf Touren mit amerikanischen Bands führt das immer wieder mal zu witzigen Situationen. Ich merke aber auch, dass dieser Team-Gedanke bei uns viel stärker als bei anderen verwurzelt ist. Spannend wäre, was Chris, unser Schlagzeuger, dazu sagt, der ja unser Quoten-Wessi ist. Ihn müsste man eigentlich fragen, wie er all das wahrnimmt. In jedem Fall sind wir keine Einzeldarsteller, wie ich das bei vielen anderen Bands beobachte. Für uns zählt das Gesamtprodukt. Was in der Doku ebenfalls rüberkommt, ist, dass mich diese Ausgrenzungsmechanismen, die Leute in Köln oder München in ihrer ultra-linken Filterblase ablassen, extrem nerven. Die haben überhaupt keinen direkten Kontakt zur AfD und ihren Wählern und können es auch gar nicht verstehen, dass das zum Teil Leute sind, mit denen ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin. Der eine oder andere heutige AfD-Wähler hat mich damals vor der Disco vor einer Tracht Prügel durch Faschos bewahrt. Wenn alle Leute als dumme Ossis über einen Kamm geschoren werden, wir dann ja auch, dann sind das dieselben Mechanismen von Ausgrenzung, die die AfD Flüchtlingen gegenüber betreibt, nur auf einem intellektuell höheren Niveau und mit einem hehreren Ansatz. Doch es bleibt immer noch Ausgrenzung. Auch, wenn sich irgendwelche Comedians über die dummen Ossis lustig machen. Das finde ich genauso zum Kotzen.“

Maik erklärt, warum ihn das alles so sehr bewegt: „Man ist doch stark durch seine Eltern geprägt, die das alles meist noch am eigenen Leib mitgemacht haben. Das zieht sich soziologisch gesehen schon noch eine ganze Weile mit. Das hat nichts damit zu tun, ob ich das noch mitgemacht habe oder nicht, oder ob es von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Schau doch mal, wie viel Familienvermögen in Westdeutschland vererbt wird und wie viel hier in Ostdeutschland. Von meinem Rock’n’Roll-Geld habe ich mir eine Wohnung gekauft. Wenn ich zur Eigentümerversammlung gehe, bin ich der einzige Ostdeutsche dort am Tisch. Es scheint so, dass fast der gesamte Osten Westdeutschen gehört. Es gibt auch keinen einzigen ostdeutschen Universitätsdirektor. Auch die Politiker-Eliten sind von ihrer Biografie her oft noch Importe, auch wenn sie inzwischen schon bis zu drei Jahrzehnten im Osten leben. Das spielt für viele hier nach wie vor eine Rolle. Ob es dein Vermieter, Richter oder Chef ist – es hat bisweilen so einen Kolonialherren-Stil. Das ist eine große Sache, die man hier noch viel mehr auf dem Schirm hat. Für mich liegt das daran, dass die Leute bestimmte Nachteile immer noch mit sich herumschleppen. Das ist in meinen Augen ein ganz großer Geburtsfehler der deutschen Einheit.“

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