Alles beim Alten und doch auch wieder nicht: HYSTERESE bieten auf ihrem vierten selbstbetitelten Album neuerlich hymnische Nummern zwischen Pop- und Post-Punk. Aufgrund von personellen Wechseln und einer Neuverteilung der Verantwortlichkeiten erfinden sich die Tübinger dabei aber zusätzlich ein Stück weit neu.
„Wir haben eigentlich immer einen ähnlichen Rhythmus, was die Zeitabstände zwischen den Alben angeht“, entgegnet Gitarrist und Sänger Moritz auf die Frage, wie lange es für die Musiker*innen gedauert hat, sich im neuen Setting zurecht zu finden. „Wir fummeln zehn Songs zusammen, produzieren die Platte, fahren eine Tour und irgendwann melden sich dann wieder die nächsten Songs. So entsteht etwa alle drei Jahre ein HYSTERESE-Album. Helen (Gitarre und Gesang) und ich haben dazwischen noch manchmal Kraft, Zeit und Ideen übrig und dann entsteht auch mal was nebenher – etwa mit eat//read//sleep oder NØX. Seit der letzten Platte sind wir auf jeden Fall selbstbewusster geworden. Auf dem neuen Album befinden sich ausschließlich Songs, die wir mit einem gewissen Stolz, einer Art selbstsicherem Mut geschrieben haben.“ Die Bedeutung der Band hat sich für die Beteiligten seit der Gründung im Jahr 2009 nicht verändert, die Motivation ist ungebrochen. Daran ändern auch die jüngsten Verschiebungen nichts:
„HYSTERESE hat bei uns immer den gleichen Stellenwert“, stellt Moritz klar. „Seit dem ersten Song versuchen wir, Rock-Musik zu spielen, die uns Freude bereitet und die uns als Menschen integer zu erkennen gibt.“ Im Zuge der Arbeit am vierten Longplayer haben sich aber sowohl die Band-interne Dynamik als auch die Arbeitsweise der Tübinger verändert: „Wir haben das Songwriting für diese Platte aufgeteilt: fünf Songs von Helen und fünf von mir“, erzählt der Gitarrist und Sänger. „Wir haben den ikonischen Wechselgesang nicht mehr aktiv in den Vordergrund gestellt, sondern nur noch dort passieren lassen, wo er sich aufgedrängt hat. Dazu haben wir alle Songs möglichst entschleunigt angelegt, aber wiederum für unsere Verhältnisse ohne Zurückhaltung arrangiert. Das ging besonders durch den Neuzugang am Bass sehr gut. Jana ist technisch sicherlich die beste Musikerin in der Band. Dadurch konnten wir alles umsetzen, was wir wollten. Haugs Qualitäten am Bass lagen im Bereich Kraft und Geschwindigkeit. Jana hingegen ermöglicht nun einen gewissen klassischeren Umgang mit dem Material.“ Am Ende dreht sich bei HYSTERESE aber immer alles um die implizite Wirkung der Musik:
„Das ist bei uns reine Gefühlssache“, bekräftigt Moritz. „Was sich richtig anfühlt, wird gemacht. Wir machen alles aus dem Bauch.“ Dank ihres stilistisch breit gefassten Ansatzes bieten sich dem Quartett vielfältige Möglichkeiten, unterschiedliche Facetten ihres Ansatzes auszuprobieren. Auf dem vierten Longplayer der Gruppe geht es entlang einer düsteren Grundhaltung durch gefällige Punk-Songs mit einem ausgeprägten poppigen Ohrwurm-Appeal: „Wir wollten nie eine Genre-Band sein“, sagt der Musiker. „Wahrscheinlich würde es HYSTERESE als feste Genre-Band nicht mehr geben, weil es uns langweilig geworden wäre. Wir hören sehr viel Unterschiedliches. Alles, was irgendwie intensiv, düster, heftig und schön ist, kann willkommen sein. Das schlägt sich dann nieder, wenn wir an die Instrumente gehen. Wir haben immer eine Punk-Rock-Basis, weil das für uns als Fundament einfach gut funktioniert. Darüber dann aber zum Beispiel eine coole R’n’B-Vocal-Metrik rauszuwerfen, weil‘s nicht stilecht ist, fänden wir nicht nur schade für uns den Song, sondern auch irgendwie engstirnig. Ich denke, wir sind auch etwas stolz darauf, uns hinsichtlich vermeintlicher Genre-Grenzen nicht besonders von Verlegenheiten einengen zu lassen.“ Den Werbetext, der das Treiben der Tübinger mit „Wer auf die Dunkelheit von den Wipers, den Esprit der Descendents und die Hits von Blondie oder Billy Idol steil geht, wird hier fett bedient!“ umreißt, finden HYSTERESE passend – auch und gerade hinsichtlich der genannten Referenzen: „Der Text ist mit uns abgestimmt“, bestätigt Moritz. „Deshalb passt daran alles, haha.“
Für ihn repräsentiert das neue Album zudem optimal, was die Band derzeit darstellen will und auszeichnet: „Auf die gefühlte Größe der Platte sind wir stolz,“ äußert der Gitarrist und Sänger. „Wir haben das Album im Prinzip komplett ohne Scham produziert und konnten tatsächlich sehr ehrliche Songs bauen, die uns aus der Seele sprechen. Wir genießen den etwas fetteren Bombast, der in die Songs und die Produktion Einzug hält. Und es fühlt sich komplett richtig an, dass wir uns an vielen Stellen einfach Zeit lassen. Wir lassen Platz, um Schönes noch besser zur Geltung kommen zu lassen und hetzen nirgends, um alles mit ordentlich Kraft spielen zu können. Diese Version der HYSTERESE gefällt mir auf jeden Fall extrem gut. Etwas anderes würde momentan nicht zu uns passen.“
Damit ist auch gemeint, dass der Vierer seinen Band-Ansatz partiell anders interpretiert, mit seiner Vergangenheit aber dennoch in Verbindung steht. Die Selbstbetitelung des vierten Longplayers setzt den Weg der Gruppe ja ebenfalls fort: „Wir geben den Alben keine Titel, weil wir das Reduzierte daran mögen“, erklärt der Moritz. „Es gibt alle drei Jahre zehn neue Songs und fertig. Wir möchten von uns aus keinen Kontext soufflieren, in dem sie zu hören sind. Der assoziative Kontext soll sich bei der Hörerschaft ergeben, ohne dass wir einengend nachhelfen.“