LORD DYING

LORD DYING entwickeln auf ihrem vierten Album düster-schleppende, atmosphärisch-dichte Songs, die schroff erden, partiell aber auch anmutig klingen. Die Gruppe aus Portland, Oregon thematisiert auf „Clandestine Transcendence“ das Leben nach dem Tod und beschließt ihr Konzept, das sich über mehrere Platte gezogen hat. Mithilfe von Elementen aus Sludge, Doom und Thrash Metal entstehen ganzheitliche, organische Heavy-Tracks, die Eindruck schinden.

„Positives Feedback begleitet uns seit den frühen Tagen“, erwidert Frontmann Erik Olson darauf angesprochen, dass seine Gruppe einen guten Ruf besitzt und von unterschiedlichen Hörergruppen abgefeiert wird. „Ich kann es selbst kaum glauben, doch so ist es. Wir nehmen das zum Anlass, nicht nachzulassen, sondern uns beständig anzutreiben, um noch besser zu werden. Das ist der Grund dafür, dass wir über die natürlichen Grenzen dieser Band hinausgehen – zuletzt schon sehr auf „Mysterium Tremendum“ und jetzt noch mehr mit „Clandestine Transcendence“. Das gelungene Ergebnis zeigt uns, dass wir vor nichts Angst haben müssen und wir unseren Weg weiter pushen können. Das werden wir auch mit dem nächsten Album tun.“ Das Quartett aus Oregon arbeitet auf seiner vierten Platte noch selbstbewusster mit Melodie und Atmosphäre, setzt starke Hooklines und noch mehr Clean-Gesang. LORD DYING als Prog-Sludge einzuordnen, passt weniger denn je, zumal es ein offenkundiger Widerspruch in sich ist:

„Der Sludge-Metal ist traditionell betrachtet kein progressives Genre“, sagt der Gitarrist und Sänger. „Zum Glück sind wir keine Sludge-Band, auch wenn das oftmals über uns gesagt wird. Wir sind vor allem mit progressivem Rock aufgewachsen, der uns bis heute prägt. Später haben wir auch eine Liebe zum Sludge entwickelt. In unseren Anfangstagen haben wir beide Spielarten zusammengebracht, von Beginn an aber auch den Anspruch verfolgt, etwas Eigenständiges zu erschaffen, das weder zu sehr Prog noch allein Sludge ist. Schon auf unserem Debüt hört man einen deutlichen Vibe des 1970er Rock. Es hat seine Zeit gedauert, bis wir unseren Sound klar definiert haben. Das neue Album geht diesbezüglich weiter als seine Vorgänger und stellt für mich vor allem progressiven Metal dar. Es mag Sludge-Elemente geben, doch die Unterschiede zu unseren früheren Platten sind deutlich.“ Die Musiker forcieren die Zugänglichkeit und den Nachhaltigkeitswert ihrer Tracks; setzen ihren Weg konsequent fort:

„Wir müssen nichts und niemandem etwas beweisen“, erklärt Erik. „Unsere Band besteht bereits seit 14 Jahren. Die ganze Zeit über haben wir immer nur das getan, was und wie wir es wollten. Daran wird sich nichts mehr ändern. Ob es den Leuten gefällt oder nicht, spielt für das, was wir tun, keine Rolle. Wir sind, wer wir sind. Natürlich freuen wir uns darüber, dass sich viele Leute für unsere Band interessieren und die stilistischen Veränderungen mitgehen. Das ist auch deshalb wichtig, weil wir auf Tour nur noch wenige unserer frühen Tracks spielen. Daran stört sich zum Glück niemand. Die Leute verstehen, dass die aktuellen Stücke besser sind und dem entsprechen, was wir als Band heute repräsentieren. Von unseren Anfangstagen haben wir uns weit entfernt und ich sehe nicht, dass es irgendwann wieder in diese Richtung gehen wird.“

Die Einstellung der Musiker gegenüber LORD DYING und ihre Ansprüche an die eigene Leistung waren anfangs völlig andere: „Ein wirkliches Songwriting hat es nicht gegeben“, erinnert sich der Frontmann. „Nichts war geplant, die Songs haben wir im Proberaum ausgehend von Riffs gejammt und alles improvisiert. Weder haben wir reflektiert noch einen besonderen Anspruch an den Tag gelegt, sondern einfach nur durchgeballert. Heute entstehenunsere Stücke anders. Von einem komplett durchdachten und absichtsvollen Songwriting zu sprechen, greift zu weit, doch wir arbeiten uns Passage für Passage voran und orientieren uns an dem, was das jeweilige Stück benötigt. Dabei gibt es nichts, was ausgeschlossen ist, solange es zum Song passt. Einen solch weit gefassten Ansatz gab es zu Beginn der Band nicht. Alles, was wir wollten, war es, möglichst laut und heavy zu klingen. Inzwischen steht die Dynamik im Vordergrund.“ Das Bauchgefühl spielt bei LORD DYING immer noch eine wichtige Rolle, jedoch anders als früher:

„In der Vergangenheit ist vieles zufällig passiert“, gibt Erik Olson zu. „Oftmals hatten wir nicht mehr als ein gutes Riff oder einen einprägsamen Refrain und haben dann drumherum einen ganzen Song improvisiert. Heute reicht uns so etwas nicht mehr, zumal wir unsere Ideen inzwischen aufnehmen, anhören und überarbeiten. Wir geben uns nicht länger vorschnell zufrieden, sondern arrangieren bewusst, diskutieren über die Stücke und überlegen gemeinsam, was ihnen noch fehlt oder wie wir sie weiter verbessern können. Das äußert sich etwa auch darin, dass sich Parts wiederholen und sich mitunter sowohl mit als auch ohne Vocals finden. Früher hat es so etwas nicht gegeben. Das ist ein sichtbares Ergebnis unseres veränderten Anspruchsniveaus und unserer größeren Reife als Musiker. Die Punk-Tage, in denen wir bloß blasten wollten, liegen hinter aus.“ Das hat auch damit zu tun, dass der Vierer aus Portland schnell Zuspruch erfahren haben:

„Um es ganz platt zu formulieren: als es mit LORD DYING losging, haben wir weder irgendetwas erwartet noch daran geglaubt, dass wir irgendeine Form von Erfolg haben würden“, sagt der Gitarrist und Sänger. „Der Spaß an der Sache stand im Vordergrund, weshalb wir überrascht davon waren, wie schnell sich alles entwickelt hat. Schon früh konnten wir mit fantastischen Gruppen auf Tour gehen und viel von ihnen lernen. Das hat uns veranlasst, hart zu arbeiten, um besser zu werden. Die Erfahrungen der frühen Touren sind dafür verantwortlich, dass wir unser Songwriting umgestellt haben. Es trifft aber auch zu, dass unser Gitarrist Chris und ich, die LORD DYING gegründet haben, von Beginn an bereit waren, viel zu investieren und das Ziel zu verfolgen, immer bessere Alben zu veröffentlichen. Wir pushen uns bis heute gegenseitig.“ Die übrigen Mitglieder wechseln bisweilen. Bassistin Alyssa Mocere (ex-Eight Bells) und Schlagzeuger Kevin Swartz (auch Tithe) geben mit dem neuen Album ihren Veröffentlichungseinstand: „Sowohl Alyssa als auch Kevin sind fest in der Band und nicht bloß Tour-Musiker“, erwidert Erik auf die entsprechende Frage. „Der veränderte Vibe, den man auf „Clandestine Transcendence“ spürt, ist zu einem guten Stück auf die beiden zurückzuführen. Ihr Einfluss wird in Zukunft noch größer werden, je länger sie in der Band sind. Chris und ich fordern sie aktiv dazu auf, ihr Talent einzubringen.“

Die Gruppe aus Oregon zieht ihren Stiefel durch und konzentriert sich allein auf sich selbst: „Als Band verfolgen wir das Ziel, etwas Eigenständiges zu erschaffen“, so der Frontmann. „Einfach nur anderen erfolgreichen Gruppen nachzueifern und sie zu imitieren, ist mir zu wenig. In den USA ist der Death Metal gerade wieder stark angesagt. Persönlich schätze ich dieses Genre sehr. Doch wer uns hört, stellt schnell fest, dass wir keine Death Metal-Band sind. Wären wir auf schnellen Erfolg aus, müssten wir schlicht den Oldschool-Death nachahmen, wie es viele andere Künstler derzeit tun. Es ist toll, mitzuerleben, wie die Kids den Sound der frühen 1990er Jahre für sich entdecken und ihm neues Leben einhauchen. Die Interessen unserer Gruppe liegen allerdings woanders. Wir sind lange genug dabei, um uns auf die Güte des Songwriting zu konzentrieren und nicht mehr um Genre-Fragen zu kümmern. Langfristig bringt es nichts, sich an Trends zu orientieren. Man muss sein eigenes Ding durchziehen und genau das tun wir. Denn wir wollen etwas schaffen, dass auffällt.“

Die positive Facette des Death Metal-Hypes ist es, dass so viele Leute zu den Shows kommen, wie schon lange nicht mehr. Davon profitiert die gesamte Szene: „So lange die Musik und Bands gut sind, habe ich nichts daran auszusetzen, wenn Hipster Death Metal spielen“, äußert Erik. „Kurz vor der Pandemie waren wir mit Black Label Society und Obituary auf Tour. Bis die Shows nach der Hälfte der Dates abgesagt werden mussten, was es unsere bis dato erfolgreichste Tour. Und das bei einem solch unterschiedlichen Line-up. Wie sich die Dinge entwickelt haben, sagt mir zu. Unsere erste Tour in Europa hat unsere Erwartungen ebenfalls übertroffen. Wir können uns nicht beschweren und sind froh, dass sich die Dinge nach Corona wieder normalisiert haben. Nur 2021 hatte ich einen Durchhänger, als alle Welt dachte, es ginge wieder los, doch dann wurde Tour um Tour abgesagt. Das liegt zum Glück hinter uns. Zuletzt sind sogar die Preise für Benzin und das Merch wieder gesunken.“ Das veränderte Umfeld des Musik-Business ängstigt den Gitarristen und Sänger nicht:

„Davon darf man sich nicht verrückt machen lassen“, meint Erik. „Was man tun kann, ist, auf sich selbst zu schauen und möglichst gute Songs zu schreiben. Ich glaube fest daran, dass sich Qualität immer noch durchsetzt. Viele Leute empfehlen Musikern, keine Alben mehr zu veröffentlichen, sondern auf einzelne Tracks zu setzen, um die Maschine am Laufen zu halten. Das höre ich selbst in meinem Umfeld immer wieder, doch das ist für mich dann keine Kunst mehr. Für mich bleiben komplette Alben wichtig. Denn erst eine Handvoll Songs kann in Kombination mit Linernotes und Artwork das widerspiegeln, was man in einer bestimmten Phase seines Lebens erlebt hat und verarbeitet. Einzelne Stücke reichen dafür hinten und vorne nicht aus. Dazu kommt, dass ich ein Vinyl-Nerd bin und mich intensiv mit alten Platten beschäftige. Ich bin einer der Verrückten, die von den Veröffentlichungen jeweils die Erstpressung besitzen wollen. Mir geht es darum, das nachzuvollziehen, was die Leute erlebt haben, als die Platte erschienen ist. Ich kaufe und beschäftige mich mit dem Vinyl so, wie ich es gelernt habe. Dass viele Leute – insbesondere die jungen – nicht mehr über die dafür nötigen Aufmerksamkeitsspannen verfügen, ist traurig. Zum Glück gibt es immer noch viele Menschen wie mich. Auf unseren Shows verkaufen wir nach wie vor viele Platten. Vielen Leuten ist es wichtig, ein physisches Exemplar eines Albums zu besitzen und nicht bloß Streams zu hören. Doch auch wir tun Dinge, um der neuen Zeit gerecht zu werden. Für „Clandestine Transcendence“ wird es drei Videos geben. Natürlich lässt sich argumentieren, dass auch Videos oldschool sind, denn Videos gab es schon vor Social Media. Oftmals waren sie die einzige Möglichkeit, Bands visuell zu erleben und die Musiker überhaupt einmal zu sehen. Videos sind ein Standard, den selbst wir respektieren. Geht es nach uns, sollen uns die Leute aber live erleben und nicht nur unsere Videos schauen.“

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Pictures: Neil DaCosta