RIVERS OF NIHIL

DAS LEBEN AN SICH. Die aus Reading, Pennsylvania stammenden RIVERS OF NIHIL präsentieren sich auf ihrem vierten Album musikalisch und textlich verändert. Der Titel und die Texte von „The Work“ sind dabei ebenso offen für Interpretationen wie der organische Metal-Sound des Quintetts.

Die Auswahl der völlig unterschiedlichen Vorabauskopplungen ist Gitarrist Brody Uttley zufolge ganz bewusst erfolgt: „Wir haben uns für ,Clean‘ als erste Single entschieden, weil sie für unsere Band eher ungewöhnlich ist. Gleichzeitig besitzt dieses Stück aber irgendwie auch all die Zutaten, die die Leute mit unserer Band verbinden. Da sind beispielsweise diese besondere Atmosphäre, die ausladenden Solo-Passagen und der epische Gesang, die mit neuen Ansätzen kombiniert werden und so zu einem anderen Hörerlebnis führen. Der zweite Song ,Focus‘ unterscheidet sich davon deutlich, denn es handelt sich um ein kurzes Stück mit einer klassischen Struktur. Und dann ist da das experimentelle ,The Void From Which No Sound Escapes‘ mit seinen verrückten Synthesizer-Klängen und dem Einsatz des Saxophons. Wir wissen, dass viele Leute unsere Band gerade auch mit Saxophon-Klängen verbinden. Weshalb die Leute also zappeln und auf das Erscheinen des Albums warten lassen. Es bringt ja nichts, zu verheimlichen, dass wir wieder ein Saxophon mit auf der Platte haben. Wer sich anstrengt, kann es auch in den aktuellen Meldungen über uns herausfinden. Mir ist es da wichtiger, dass die drei Auskopplungen die Spannbreite erkennen lassen, die „The Work“ für mich vor allem anderen auszeichnet. Mehr noch, als es die drei Singles vermuten lassen, findet sich in den Stücken viel Atmosphäre und Wärme. Immer wieder geht es sehr allgemeingültig und generell zu, nicht nur kalt, brutal und technisch. Was ihre Anmutung anbelangt, sind die Singles vielleicht sogar einen Tick zu heftig und düster ausgesucht. Einerseits stehen sie schon für das Album in seiner Gesamtheit. Andererseits aber auch wieder nicht, weil da noch so viel mehr ist. Hörer können zumindest erste Ideen mitnehmen, in welche Richtung es bei uns geht und später dann tief in die Platte einsteigen. Ich bin mir sicher, dass die Hörer positiv überrascht sein werden, denn es gibt viel mehr zu entdecken, als das Preview erwarten lässt.“

RIVERS OF NIHIL bauen darauf, dass ihre Hörer ebenso entdeckungsfreudig und aufgeschlossen sind, wie sie selbst: „Die Leute sind heutzutage schnell mit ihren Wertungen“, weiß Brody. „Das gilt für alle Bereiche des Lebens. Bevor man sich versieht, ist der Daumen schon gehoben oder gesenkt. Die Leute suchen schnelle Unterhaltung und einen direkten Nutzen für sich. Finden sie das nicht, springen sie sofort zum Nächsten. Ich persönlich bin nicht so eingestellt und lasse mich davon auch nicht beeindrucken. Als Band sind wir Befürworter des klassischen Album-Formats. Wir erschaffen Tracks, die sich über einen bestimmten Zeitraum hinweg entwickeln und gerade nicht direkt auf Betriebstemperatur und durchsichtig sind. Unser Bassist Adam, der auch die Texte schreibt, ist genauso gepolt. Er nimmt sich stets den Raum, den es braucht, seine Ideen zu entwickeln.“ Wo man die Veröffentlichungen des Quintetts am Besten hört, weiß der Musiker, ohne nachzudenken:

„Unsere Alben lassen sich perfekt auf lange Reisen hören“, empfiehlt Brody. „Sicherlich gibt es einzelne Tracks, die sich aus dem Gesamtkontext herauslösen lassen. ,Focus‘ ist dafür ein perfektes Beispiel, weil es kürzer und prägnanter ist, eine klassische Strophe-Refrain-Struktur besitzt und noch dazu auf einem natürlichen Groove basiert. Doch es hat seine Gründe, dass die anderen beiden Vorab-Singles mehr als sechs Minuten lang sind. Daran kann man ablesen, dass wir eher das Gesamtbild im Auge haben als schnelle Mitnahmeeffekte. Ansonsten wären unsere Songs eher nur drei Minuten. Worüber ich froh bin: die Leute gehen unseren Weg mit. Unsere beiden populärsten Songs auf Spotify bringen es auf sieben Minuten Spielzeit. Wir sind nun einmal eine Band, die sich zwischen sechs und acht Minuten eingependelt hat, manchmal aber auch darüber hinaus schließt. Der letzte Track des neuen Albums bringt es auf 13 Minuten. Das gibt uns die Möglichkeit, unterschiedliche Facetten unseres Spiels zu erkunden und mit den Stimmungen zu experimentieren. Was mir persönlich ganz besonders gefällt: wenn die Arbeit irgendwann beendet ist und ich unsere Alben höre, entdecke ich jedes Mal Akzente, die mir während des Songwritings gar nicht bewusst waren oder aufgefallen sind. Das erfreut mich und hält mich interessiert.“

Der selbstbewusst klingende Titel des vierten Longplayers von RIVERS OF NIHIL ist dabei nicht so ultimativ gemeint, wie es vielleicht scheint: „„The Work“ ist deutungsoffen und kann für sehr viel stehen“, führt der Gitarrist aus. „Für mich repräsentiert der Titel mehr als alles andere das Leben an sich. Zu leben, bedeutet Arbeit. Wir arbeiten uns durch den jeden einzelnen Tag, um den darauffolgenden zu erleben. „The Work“ kann für jeden etwas anderes symbolisieren und repräsentiert dabei die größte Herausforderung, der man gegenübersteht. Jeden Tag lernt man etwas über sich – entdeckt sowohl gute als auch schlechte Facetten. Nicht alles, was man sieht, mag man, doch so ist das nun einmal. Wer mutig ist, setzt sich mit dem auseinander, was ihm nicht zusagt und versucht, ein besserer Mensch zu werden. Erfahrungen zu machen und sich zu verändern, heißt, seinen Alltag zu absolvieren. All das ist für mich unter der Klammer „The Work“ subsummiert. Natürlich kann dieser Titel in einer anderen Auslegung auch schlicht auf das abstellen, was wir als Band tun und während der Arbeit an diesem Album erlebt und geleistet haben. Einige der Texte unseres Bassisten beschäftigen sich auf einer übergeordneten Ebene genau damit. Zumindest gibt es immer wieder Momente und einzelne Textzeilen, die ich auf bestimmte Aspekte oder Erfahrungen von uns als Band zurückführen kann. „The Work“ sind natürlich auch wir und was wir als Gruppe von Musikern gemeinsam durchstehen. Man reibt sich und geht anschließend doch zusammen weiter. Eine Band zu sein, bedeutet viel Arbeit. Und das, wo wir nicht einmal wissen, wohin uns das alles überhaupt führt. Dennoch fordern wir uns heraus und gehen beständig an unsere Grenzen. Auch das ist „The Work“ – unsere kreativ bislang beste Leistung. Aufgrund der Einschränkungen der Pandemie haben wir mehr Zeit denn je in die Arbeit investiert. Sonst gab es für uns ja auch nichts zu tun. Das spiegelt sich in der Dringlichkeit und Intensität des Materials wider. Es sagt mir zu, dass der Titel alles und nichts bedeuten kann und sich jeder seine eigene Auslegung zurechtlegt. Als Adam mit ihm um die Ecke kam, habe ich sofort das Potenzial gesehen. „The Work“ mutet stark und groß an. Noch dazu ist er simpel, erinnerbar und kein Zungenbrecher; dem Grunde nach ideal für ein Album. Da der Titel schon feststand, noch bevor das Songwriting beendet war, hat er sich sicherlich unterbewusst in unseren Köpfen breitgemacht und unsere Arbeit beeinflusst.“ Weitaus wichtiger für das Gelingen und die besondere Güte des Viertwerks von RIVERS OF NIHIL sind allerdings der Faktor Zeit und der verständnisvolle Zugang der Gruppe zu ihrem Metal-Sound:

„Mit jedem Song und jedem Album lernen wir mehr über uns als Musiker und unsere Fähigkeiten“, bestätigt es der Gitarrist. „Heute gelingt es uns weitaus besser, unsere Einfälle adäquat und kontrolliert umzusetzen. Das war nicht immer so. Anfangs sind wir stets als technischer oder progressiver Death Metal eingeordnet worden. Zu einem guten Teil lag das daran, dass wir darauf geachtet haben, bestimmten Erfordernissen gerecht zu werden – etwa schnellen Schlagzeug-Parts oder verrückten Gitarren- und Bass-Spuren. Bei diesem Album ist es uns nun besser gelungen, uns davon zu befreien und auch einmal zurück zu nehmen. Da sind diese schnellen, offenen Passagen, die über ihre Stimmung oder Intensität wirken anstatt über Geschwindigkeit oder Technik. Als Gruppe haben wir gelernt, das Song-Material bestmöglich aus zu balancieren. Jedem von uns wäre es ein Leichtes gewesen, in einzelnen Parts abzugehen und sich individuell verrückt in Szene zu setzen. Wir haben erkannt, dass die technischen Momente noch beeindruckender wirken, wenn man sie dosiert und bewusst angeht. Entscheidend ist, dass man sie in einen stimmigen Kontext einbettet und es mit der Anzahl extrem technischer Stellen nicht übertreibt. Von Anfang bis Ende frickeln und blasten, ist nicht schwer, doch eine gesunde Balance aus allen Einflüssen zu erschaffen, schon. Dinge bewusst und aus Absicht nicht zu tun, ist Ausdruck unserer Entwicklung als Songwriter. Das ist die große Lektion, die wir aus „The Work“ ziehen. Nur deshalb ist es ein solch offenes Album geworden, das insgesamt etwas langsamer daherkommt und vermehrt auf Emotionen und Energie setzt.“

Ohne die Corona-Pandemie wäre es wohl anders gekommen: „Jede Band spricht immer davon, sich voll und ganz in der Arbeit und ihren neuen Songs verloren zu haben. Auch ich habe das in der Vergangenheit behauptet“, holt Brody aus. „Dieses Mal stimmt es aber wirklich. Die extra zur Verfügung stehende Zeit war hilfreich und wir haben sie genutzt. Die Aufnahmen haben im November 2020 stattgefunden. Erst im Januar 2021 ist die Entscheidung gefallen, all diese Field-Recordings und zusätzlichen Geräusche hinzu zu fügen. Da das Album noch nicht gemastert war, haben wir uns diese Freiheit erlaubt. Den ganzen Winter über habe ich an den Songs gefeilt und überlegt, wie wir sie noch besser machen können. Früher wäre es vom Aufnehmen direkt zum Mixen und Mastern gegangen und anschließend auf Tour. Dieses Mal gab es erstmals die Chance, sich intensiv mit dem Ergebnis der Studioarbeit auseinander zu setzen und weitere Ideen hinzu zu fügen. „The Work“ ist so zu meinem Soundtrack dieser komischen Zeit geworden.“

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