Im Feld zwischen Deathcore und Extrem-Metal zählen THY ART IS MURDER zu den großen Namen, die sich Genre-übergreifend großer Wertschätzung erfreuen. Das Quintett aus Sydney tritt mit einem Hang zu technischen, rigorosen Sounds und plakativen, provokanten Titeln an. Der fünfte Longplayer der Gruppe heißt „Human Target“.
„Wir sind schlicht richtig hart getourt und haben konsequent das umgesetzt, was wir für gute Platten halten“, erwidert Gitarrist Andy Marsh auf die Anerkennung angesprochen, die seine Band erfährt. „Letztlich geht es uns allein darum, Vertrauen in das, was wir tun, zu haben und Jahr für Jahr den Respekt unserer Kollegen und des Publikums zu gewinnen oder zu bestätigen. Tut man das, kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem man sich wohl fühlt. Und das ist der, an dem wir uns gerade befinden.“ Mit Lobpreisungen und Vergleichen mit namhaften Größen anderer Metal-Stile kann der Musiker indes nicht viel anfangen:
„Weder sind wir von Titeln besessen noch darauf aus, die Nummer eins zu sein. Wenn ich mir Bands wie At The Gates, Behemoth, Lamb Of God, Slipknot, Parkway Drive oder Killswitch Engage anschaue, sind das durchweg Gruppen, die unabhängig von ihrem spezifischen Genre über ihre Karriere und Jahre hinweg immer wieder großartige Musik vorgelegt haben. Fans können sagen: „Oh, diese oder jene Platte ist Scheiße“. Okay, vielleicht hat sie ihnen nicht so sehr gefallen. Aber du kannst nicht widersprechen, dass die Genannten konsequent mit einem enormen Einsatz getourt und Platten auf hohem Niveau herausgebracht haben. Das ist exakt das, worauf auch wir aus sind. Wir wollen allein gute Live-Shows spielen und die besten Platten machen, die uns möglich sind.“ Teil einer tourenden Band zu sein, ist für Andy Marsh das Größte:
„Unser Job ist einfach cool. Wir können viel reisen, viel essen, viele großartige Fans treffen, viel coole Musik spielen und das zusammen mit anderen Bands, die ebenfalls coole Musik machen. Wie verhält es sich um die Motivation von Leuten, die ihren Lebensunterhalt mit irgendetwas verdienen müssen, worauf sie keinen Bock haben? Wenn ich keine Songs schreiben und Shows spielen würde, dann wüsste ich aktuell nicht, was ich stattdessen tun sollte. Also ist es das, was ich tue. Und zum Glück können wir davon sogar unseren Lebensunterhalt bestreiten.“ Der Gitarrist kann aber nicht sagen, ob er seine Zeit lieber mit Studio-Arbeit oder Auftritten füllt: „Ich schätze beides. Songwriting und Aufnehmen dauert länger als eine Tour, ist für den Körper aber weniger stressig. Für mich ist das in gewisser Weise ein lohnender Kompromiss, denn man kann etwas Produktives tun, ohne unterwegs sein zu müssen. Mit dem Touren verhält es sich letztlich wie mit den Shows auch. Damit meine ich, dass es offensichtlich viele tolle Shows gibt, aber immer wieder auch welche, die aus den unterschiedlichsten Gründen schlecht laufen. Es gibt so viele Variablen, die man nicht beeinflussen kann und die darüber entscheiden, ob es aufregend oder grauenvoll wird. Du kannst eine Show spielen, auf die du dich total freust. Dann geht plötzlich irgendetwas schief und alles läuft scheiße. Du kannst aber auch eine kleine Club-Show veranstalten und denken, dass es schrecklich werden wird. Und dann kommen viele Leute und es wird richtig gut. Letztlich hängt das auch mit Glück oder Pech zusammen. Im Studio wiederum spielt sich der ganze Prozess hinter verschlossenen Türen ab. Wir arbeiten einfach so lange weiter, bis das Ergebnis großartig klingt. Letztlich mag ich beides, jedoch aus unterschiedlichen Gründen.“
Mit den Ideen, Songs oder Veröffentlichungen anderer Künstler, beschäftigt sich Andy Marsh fast gar nicht. Die eigene Kunst ist ihm genug: „Da ich praktisch ständig von Musik umgeben bin, sei es im Kontext von THY ART IS MURDER oder anderer Projekte, höre darüber hinaus kaum andere Musik.“ Für die eigene Kreativarbeit bringt das Vorteile mit sich: „Für uns fühlt es sich mehr oder weniger immer gleich an, wenn wir ein neues Album angehen. Wir wollen unserem eigenen Anspruch gerecht werden, Songs zu erschaffen, die uns Spaß machen, die wir als wertvoll erachten und die etwas zur Weiterentwicklung der Musiklandschaft beitragen. Dabei verwehren wir uns gängigen Trends und den externen Erwartungen der Leute. Es greift nicht zu weit, zu sagen, dass wir von uns selbst mehr erwarten als es irgendwer sonst könnte.“
Interessant ist, zu hören, wie die Australier den Arbeitsprozess angehen: „Musikalisch haben wir eigentlich nie allzu konkrete Vorstellungen davon, was wir im Studio machen werden. Die Songs schreiben sich irgendwie von selbst. Zuvor sammeln wir schlicht all unsere Inspiration und die Dinge, die ich gerne auf der Gitarre spiele. Im Studio läuft es dann irgendwie automatisch. Besser erklären kann ich das nicht. Wir kommen nicht im Proberaum zusammen und jammen, wie es viele andere Gruppen tun. Dennoch wird bei uns vor der eigentlichen Aufnahme für ein Album alles geplant und festgelegt. Wir schreiben jede Note, jeden Drum-Beat und jeden Text genau so, wie wir es uns wünschen. Dafür gibt es bei uns dann live mehr Raum für Improvisationen von Nacht zu Nacht. Diese beiden Welten – Studio und Konzerte – halten wir bewusst voneinander getrennt.“ Die Kreativarbeit erfolgt demnach eher unorthodox, wie Andy auf Nachfrage nochmals ausführt:
„In Bezug auf den Zeitplan ist es immer verrückt. Wir sind gewissermaßen Fließbandarbeiter, die ihre Platten nicht im Voraus schreiben, sondern einfach ins Studio gehen, um dort zu schreiben und aufzunehmen. Das Songwriting beansprucht normalerweise zwei bis drei Wochen. Am Ende der Session nehmen wir dann in noch einmal zwei Wochen auf. Es ist also super intensiv, zumal wir immer darauf aus sind, so viele Songs wie möglich zu schreiben. Für das letzte Album hatten wir 25 Tracks, mussten uns letztlich aber auf weniger als die Hälfte beschränken. Beim eigentlichen Aufnahmeprozess geht es dafür nicht so verrückt zu, da wir uns auch nicht wirklich sehen. Für „Dear Desolation“ beispielsweise war ich damals der einzige Typ, der die ganze Zeit vor Ort im Studio gewesen ist. CJ kam irgendwann rein und nahm den Gesang auf, Sean einige Gitarren, dann Lee das Schlagzeug, und als sie fertig waren, gingen sie wieder nach Hause. Für uns läuft es gut so. Alles ist cool.“
Die seit 2006 aktiven THY ART IS MURDER haben mit der Zeit allenfalls ihre Grundhaltung verändert: „An der anstrengenden Fleißarbeit und dem Spaßfaktor hat sich an nichts verändert, auch wenn wir natürlich danach streben, unseren Sound zu entwickeln und besser zu klingen. Damit geht einher, dass wir heute offener für alle Ideen sind, die durch uns hindurch fließen. Wir lieben es einfach, die Alben in sehr kurzer Zeit zu schreiben und aufzunehmen – gemeinhin in weniger als acht Wochen. Oftmals haben wir erst kurz bevor wir eine Platte mischen ein klares Bild von dem gesamten Werk, das wir gerade erschaffen. Das gefällt mir so, denn jedes Album ist so etwas wie ein Schnappschuss der Zeit meines Lebens, in der die jeweiligen Songs entstanden sind. Das gibt mir eine einzigartige Perspektive auf mich selbst.“
Neben der dominanten Brutalität, die sich in den Breakdowns, Mosh-Grooves, Blastbeats und Frickeleien ausdrückt, besitzt „Human Target“ sowohl ausreichend Melodie als auch einen Kontext schaffenden Rahmen, die für die länger währende Wirkung und das Gesamtbild des fünften Albums unerlässlich sind. Anders formuliert: das Quintett hat seine Songwriting-Fähigkeiten geschliffen und agiert ausgewogener, ohne Hartnäckigkeit und Nachdruck einzubüßen: „Wir beschränken uns in keiner Weise, sondern bleiben schlicht bodenständig und versuchen, die besten Songs zu schreiben, die uns möglich sind. Ein großer Teil unserer Inspiration stammt von unseren Reisen rund um die Welt. Wir sehen viel, was für andere gerade nicht so gut läuft. Das greifen wir auf. Wir arbeiten fokussiert und agieren konsequent. Das ist der Schlüssel, denke ich. Oftmals habe ich das Gefühl, dass andere Künstler versuchen, alles nur aus eigener Langeweile heraus zu verändern, oder sie im Streben nach mehr Erfolg einem Trend aufspringen oder einer angesagten Formel nachlaufen. Für uns ist das Einzige, was wir bewusst anstreben, uns Jahr für Jahr und Album für Album konsequent zu verbessern. Wenn das in einem Jahr auch nur zu einem geringen Teil passiert, sind wir dennoch zufrieden, denn das ist immer noch ein Schritt nach vorne. Zu viele Menschen setzen sich meiner Meinung nach unrealistische oder willkürliche Ziele, was der erste Schritt hin zu einem unbefriedigenden Leben ist. Mein Anspruch ist es, dass das, was wir spielen, Sinn ergeben muss. Die Musik, die wir in unseren Köpfen hören, ist das, was wir zu manifestieren versuchen, auch wenn es nicht immer vollständig zur Geltung kommt. Gegenwärtig denke ich, dass die neue Platte die wahrhaftigste Umsetzung dessen ist, was wir zu erreichen suchen.“
Die bereits besprochene Arbeitsweise hilft THY ART IS MURDER dabei, als Einheit zu wachsen: „Wir spüren definitiv Druck, doch andernfalls würden wir wahrscheinlich nur zu Hause herumsitzen und nichts tun“, so Andy Marsh. „Irgendwie gelingt es uns, unter Druck besonders gut zu gedeihen. Vielleicht werden wir irgendwann einmal versuchen, Songs über einen längeren Zeitraum hinweg zu schreiben. Ehrlich gesagt glaube ich aber nicht, dass wir das jemals tun werden.“ Im Zwei-Jahres-Rhythmus neuer Alben sind bislang keine Abnutzungserscheinungen ersichtlich. Das Quintett aus Sydney wird stattdessen immer besser und klingt immer furchteinflößender und zwingender: „Über den zeitlichen Faktor bin ich nicht besorgt. Als Band sind wir ziemlich beschäftigt und spielen viele Touren. Wann immer wir die Zeit finden, eine neue Platte zu schreiben und aufzunehmen, tun wir das. Das Wichtigste ist es, das Ego des Einzelnen beiseite zu legen und sich auf die Wirkung der Songs zu konzentrieren. Manchmal kann das, was du für großartig hältst, von der Gesamtwirkung oder Atmosphäre ablenken. Zum Beispiel haben wir uns auf „Dear Desolation“, der Platte vor „Human Target“, bewusst darauf abgestellt, die Anzahl der zusätzlichen Gitarren-Parts und -Layer zu begrenzen. Dennoch fanden die Fans hinterher, dass es unser atmosphärischstes Album sei. Die Atmosphäre zurück zu nehmen, hat alles fokussierter klingen lassen, aber auch mehr Raum dafür gelassen, etwas zum Leuchten zu bringen, was die Hörer tiefer in unsere Klanglandschaften gezogen hat.“
Zumindest die Themen, die von den Australiern textlich aufgegriffen werden, spiegeln mehr als nur den Moment wider: „Wir akzeptieren die soziale und kreative Verantwortung, in unseren Stücken reale Ideen, Gefühle und Erlebnisse zu bearbeiten“, stellt der Gitarrist klar. „Viele Death Metal-Texte sind in der Fantasie verwurzelt, unsere jedoch nicht. Seit ich der Hauptverfasser unserer Texte bin, habe ich viel Zeit und Anstrengung darauf verwendet, dass alles belastbar und real angelegt ist. Ich hoffe, dass die Leute sich von den Liedtexten so bewegt fühlen, wie ich es bin. In den letzten Jahren habe ich verstärkt versucht, mir mentale Notizen zu Themen zu machen, über die ich Texte schreiben will. Ich sammle all die Dinge, die mich ärgern oder inspirieren. Im Laufe eines Platten-Zyklus kommt so häufig schon der Treibstoff für den nächsten Longplayer zusammen. Am Ende entscheidet zumeist der Zufall darüber, was ich wirklich aufgreife. Gemeinhin inspirieren mich die Musik und ihre Atmosphäre zu den Themen der jeweiligen Texte.“